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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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einreiten, macht sich das Mädchen gerade über das Pferd seines Gegenspielers lustig, das ein wenig - nein, nein, nichts Ernstes, aber ein wenig stämmig gebaut ist... tja, fett, könnte man fast sagen. Ausgesprochen fett. Und das trifft den Jungen. Er ist sauer. Er schießt mit einer schnellen Strophe zurück, daß er alle seine Freunde holen und sie verprügeln wird und ihre Familie dazu. Alles macht hmm. Keiner lacht. Sie lächelt listig und singt:
    Du hast zu viel getrunken vom Qumys, Mir scheint, ich höre die Worte des Qumys, Denn wo warst du in der Nacht als mein Bruder Gesucht hat seinen gestohlenen Qumys?
    Oh-oh. Der Bruder, den sie erwähnt hat, platzt fast vor Lachen. Der junge Sänger wirkt weniger glücklich.
    "Das kann noch eine Weile dauern." Dzaqyp Qulan steigt ab und schüttelt seine Beinmuskeln aus. "Da ist er, dort drüben."
    Ein uralter Aqyn - ein kasachischer Wandersänger - sitzt mit einem Becher Qumys dösend vor einem Feuer. "Bist du sicher, daß er -"
    "Er wird davon singen. Er ist mitten durch dieses Gebiet geritten. Er würde seinen Berufsstand verraten, wenn er nicht davon sänge."
    Sie setzen sich nieder, man reicht ihnen Becher mit der vergorenen Stutenmilch, ein Stück Lammfleisch, Lepjoschka, ein paar Erdbeeren... Der Junge und das Mädchen setzen ihren gesungenen Wettkampf mit Ausdauer fort - und Tschitscherin begreift plötzlich, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis jemand mit dem NTA hier herauskommen wird, das er selbst mitgestaltet hat, um diese Lieder aufzuzeichnen ... und daß sie genau dadurch verlorengehen werden.
    Hin und wieder wirft er einen Blick hinüber auf den alten Aqyn, der nur scheinbar schläft. In Wirklichkeit sendet er eine Strahlung aus, die die Sänger führt. Es ist Wohlwollen. Man spürt es so unmittelbar wie die Wärmestrahlung der Feuer. Langsam, Strophe um Strophe, werden die gegenseitigen Vorwürfe des Paares milder, scherzhafter. Was zu einer Dorfapokalypse zu werden drohte, hat sich in ein witziges Zusammenspiel verwandelt, wie zwischen einem Paar versierter Vaudeville-Komödianten. Sie sind aus sich herausgetreten und singen ihre Verse zum Vergnügen der Zuhörer. Das Mädchen hat das letzte Wort:
    Hab ich dich singen hören von Hochzeit? Hier schon, hier war sie, die Hochzeit -Diese hitzige Runde aus Liedern War lärmend und laut wie nur je eine Hochzeit...
    Und ich mag dich, obwohl's da ein, zwei Dinge gibt - für kurze Zeit kommt Schwung
    in das Fest. Betrunkene rufen, Frauen schwatzen, kleine Kinder wackeln aus den
    Hütten heraus und wieder hinein, und auch der Wind hat etwas aufgefrischt. Dann
    beginnt der Wandersänger, seine Dombra zu stimmen, und das asiatische
    Schweigen kehrt wieder ein.
    "Wirst du mitkommen?" fragt Dzaqyp Qulan.
    "Ich stenographiere", antwortet Tschitscherin, mit leicht glottalem g.
    DAS LIED DES AQYN.
    Ich bin gekommen vom Rand der Welt, Ich bin gekommen aus den Lungen des Winds, Ich habe etwas gesehen, so erhaben, Daß selbst Dzambul es nicht könnte singen.
    Furcht ist gesät in mein Herz, scharf genug, Zu zerschneiden den härtesten Stein. In alten Legenden wird es erzählt, Aus einer Zeit, die noch älter als Qorqyt, Der die erste Qobyz aus dem Walde von Syrghaj Uns brachte und das erste der Lieder
    Es wird uns erzählt, daß ein Land in der Ferne Ist der Ort des Kirgisischen Lichts. Es ist ein Ort, wo man Worte nicht kennt Und die Augen wie Kerzenschein leuchten bei Nacht, Wo hinter der Maske des Himmels Das Angesicht Gottes erscheint
    Beim schwarz ragenden Fels in der Wüste In den letzten Tagen der Welt. Wäre der Ort nicht so fern, Hätte er Worte und spräche, Dann wäre sein Gott auch ein Goldbild Oder ein Blatt in einem Buch aus Papier.
    Dort aber kommt Er als Licht der Kirgisen, Dort ist kein anderer Weg, ihn zu kennen. Das Geheul Seiner Stimme ist Taubheit, Der Blitz Seines Lichtes ist Blindheit.
    Der Boden der Wüste erzittert, Und Sein Gesicht kann niemand ertragen. Und kein Sterblicher bleibt, der er gewesen, Wenn er gesehen hat das Kirgisische Licht.
    Denn ich sage euch, ich hab Es gesehen An einem Ort, der älter als die Nacht ist
    Und den selbst Allah nicht erreicht.
    Ihr seht meinen Bart, weiß wie ein Eisfeld,
    Ihr seht meinen Stock, der mich stützt,
    Doch dieses Licht muß uns wandeln zu Kindern.
    Und so kann ich nicht weit jetzt mehr gehen, Denn ein Kind muß zu gehen erst lernen, Und meine Worte sind für eure Ohren Wie eines Säuglings sinnloses Gestammel.
    Denn das Licht der Kirgisen

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