Die Enden der Parabel
seiner Kuhle anschaut. "Tut mir leid. Tut mir leid."
"Komm runter mit mir in die Bäder", die Stimme der Frau ist ein seifiger Schwamm, der bereits sanft über seine Sorgen streichelt, "dort ist es ruhig, erholsam ..." "Ich bleib die ganze Nacht hier", sagt Bodine, "ich paß schon für dich auf, ob der Springer kommt."
"Das ist doch eine Art Komplott, nicht wahr?" Slothrop nuk-kelt speichelig am samtenen Ohr.
"Alles ist irgendwie eine Art Verschwörung, Mann", lacht Bodine. "Und, ja, aber die Pfeile zeigen alle in verschiedene Richtungen", illustriert Solange mit tanzenden Händen, rotspitzigen Fingervektoren. Slothrop hört zum erstenmal laut ausgesprochen, daß diese Zone, neben den auf ihn polarisierten, noch viele andere Verschwörungen tragen kann... daß sie die Hochbahnen und Busse darstellen in dem gigantischen Verkehrsnetz dieser Raketenstadt, verwickelter als selbst in Boston - und daß, wenn er auf jeder Linie genau die richtige Strecke zurücklegt, immer an den richtigen Stationen umsteigt, in einem minimalen Stand von Gnade bleibt, auch wenn es oft so aussehen mag, als hätte er die falsche Richtung erwischt, ihn dieser Verbund aller Komplotte doch noch in die Freiheit führen kann. Er begreift, daß er nicht so paranoisch sein sollte in Sachen Bodine und Solange, sondern in ihre freundliche U-Bahn einsteigen und einfach sehen, wohin sie ihn bringt... Solange führt Slothrop in die Bäder, und Bodine macht sich wieder auf die Suche nach seinem Kunden, zweieinhalb Phiolen Kokain klirrend und klamm unter dem Hemd auf seinem nackten Bauch. Der Major findet sich weder bei den Poker- und Würfelrunden noch bei der Varietenummer mit Yolande, die blond und glänzend vor Babyöl von Tisch zu Tisch tanzt und Florins und Sovereigns, oft heiß von der Feuerzeugflamme eines Witzbolds, mit den agilen Lippen ihrer Fotze aufhebt - noch ist er an der Bar, noch, laut Auskunft von Monika, Putzis genialer, zigarrenrauchender, einen Matelasse-Anzug tragender Madame, beim Ficken. Er war nicht einmal beim Klavierspieler, um sich wegen "San Antonio Rose" mit ihm zu kabbeln. Es dauert eine halbe Stunde, bis Bodine endlich in seinen Mann hineinrennt, der gerade aus den Schwingtüren eines Pissoirs herauswankt, noch völlig groggy von einer Konfrontation mit der berüchtigten Eisenkröte, dem bekanntermaßen härtesten Männlichkeitstest in der gesamten Zone, vor dem man selbst orden-und ranggeschmückte Krautkiller, selbst die teufelsverachtend-sten Leck-mich'm-Arsch-Augen-zu-und-durch-Ausbrecher aus den schlimmsten Militärgefängnissen der Zone in die Knie gehen, den Schwanz einziehen, umkippen und manchmal sogar kotzen, ja, sogar kotzen, an Ort und Stelle, gesehen hat. Es handelt sich dabei um eine wirkliche, liebevoll ziselierte, tausendwarzige und, wie manche behaupten, unmerklich lächelnde eiserne Kröte von fast dreißig Zentimetern Länge, die am Grunde einer stinkenden, scheißefleckigen Toilette lauert und über eine Rheo-stat-Regelung mit dem europäischen Stromnetz verbunden ist, aus dem sie wechselnde, unvorhersehbar unangenehme, wenn auch nie tödliche Spannungen bezieht. Kein Mensch weiß, wer an der Kurbel des verborgenen Rheostaten sitzt (manche vermuten hier den halbmythischen Putzi) oder ob er nicht überhaupt an einen automatischen Timer angeschlossen ist, denn es kriegt keineswegs jeder etwas ab - man kann auf die Kröte pissen, und es passiert nicht das geringste. Aber man weiß es halt nicht vorher. Oft genug liegt die Spannung an-und der Strom piranhabeißt und lachsspringt den güldenen Pissestrahl empor, deine treulose Leiter aus Salzen und Säuren, schließt dich kurz mit Mutter Erdung, dem großen, planetaren Pool aus Elektronen, und macht dich eins mit deinem Prototypen, jenem legendären, armen Trunkenbold, der, zu besoffen, um irgend etwas mitzukriegen, auf irgendeine längst vergangene Stromschiene pißte und zu Holzkohle explodierte, zu epileptischer Nacht, nicht einmal sein Schrei sein eigen, sondern Stimme der Elektrizität, der Amperes, die durch das schon zerberstende Gefäß sprachen, das zu schnell zerberstende, als daß sie auch nur begonnen hätten, ihrer schrecklichen Erlösung aus dem Schweigen Ausdruck zu verleihen, und ohnehin predigten sie tauben Ohren, dem anonymen Streckengeher, der über die Schwellen hinkt, dem alten Schlaflosen auf seinem Nachtspaziergang, dem Stadtstreicher auf seiner Bank unter dem grünen Halo von Millionen Junikäfern um die Straßenlampe, dessen Hals
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