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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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fertig ist, aber er spricht sie trotzdem zu Ende. Vor ihm liegt ein Raum, dessen zitrusgelbes Glühlicht drastisch gedämpft wirkt, fast bis zur Milchigkeit von Was-ser-und-Absinth, ein Raum, der wärmer ist, als dieses Tischvoll von Gesichtern es verdient, aber vielleicht ist es Rogers Auftritt, der die Farbe jetzt ein wenig intensiver werden läßt, während er mit Anlauf über die blankpolierte Glatze eines Stahlindustriellen hinweg auf die blankpolierte Tischplatte springt, sechs Meter weit über die gewachste Fläche schliddert und sich vor dem Mann an der gegenüberliegenden Schmalseite aufbaut, der ein höfliches, hm, hochnäsiges Lächeln im Gesicht trägt. "Mossmoon, ich weiß Bescheid." Hat er es wirklich geschafft, ins Innerste, mitten unter die Kapuzen, Augenschlitze, goldenen Pa-raphernalien, den Weihrauch und das Schenkelknochenzepter? "Das ist nicht Mossmoon", räuspert sich Mr. Pointsman, "und jetzt kommen Sie bitte vom Tisch herunter, Mexico ... Gentlemen, darf ich vorstellen, einer meiner alten PISCES-Kol-legen, brillant, aber ein wenig labil, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben - oh, Mexico, nun wirklich -"
    Roger hat seinen Hosenschlitz aufgeknöpft, seinen Schwanz rausgezogen und begonnen, auf den glänzenden Tisch zu pissen, auf die Papiere, in die Aschenbecher und sehr bald schon auf die pokergesichtigen Männer selber, welche, obschon von dem Holz, aus dem man Führungskräfte eben schnitzt, gewöhnt an schnelle Entscheidungen, noch immer nicht akzeptieren zu wollen scheinen, daß so was überhaupt passieren kann in einer Welt, die noch in so, in zu vielen Punkten jener gleicht, in der sie leben ... und eigentlich ist dieser Wasserfall aus warmer Pisse auch ganz angenehm, wie er so vorbeischwenkt über die Zehn-Pfund-Krawatten, die kreativen kleinen Bärtchen, rauf in ein leberflek-kiges Nasenloch, quer über die Gläser einer stählernen Armee-Dienstbrille, prasselnd auf gestärkte Hemdbrüste, Phi-Beta-Kappa-Schlüssel, Ehrenlegionärsbändchen, Leninorden, Eiserne und Viktoriakreuze, Ruhestands-Uhrketten, Dewey-for-President-Nadeln, halb entblößte Schulterhalfter mit Pistolen und dort selbst einem abgesägten Schrotgewehr... "Pointsman", der Schwanz, störrisch, verärgert, bockt wie ein Zeppelin in Purpurwolken (sehr dichtes Purpur, eine Farbe wie Velours) bei Einbruch der Dunkelheit, wenn die Seebrise eine schwierige Landung verspricht, "Sie hab ich mir bis zum Schluß aufgehoben. Aber - Herr im Himmel, ich scheine keinen Urin mehr übrig zu haben. Nicht mal 'nen Tropfen. Tut mir leid. Nichts übrig für Sie. Verstehen Sie? Und wenn's mich das Leben kostet", die Worte sind ihm einfach rausgerutscht, und vielleicht übertreibt Roger etwas, vielleicht auch nicht, "aber es wird für Sie nie und nirgends mehr was übrig sein. Was Sie auch kriegen -ich werde es nehmen. Wohin Sie auch steigen - ich ziehe Sie runter. Sie mögen gehen, wohin Sie wollen. Selbst wenn Sie einen seltenen Augenblick der Ruhe finden sollten, bei einer verständnisvollen Frau in einem diskreten Zimmer, werde ich vor dem Fenster stehen. Immer werde ich draußen auf Sie warten. Nie werden Sie mich aus ihrem Leben streichen können. Wenn Sie rauskommen, werde ich reingehen, und das Zimmer wird fortan für Sie beschmutzt sein und verflucht, und Sie werden sich ein anderes suchen müssen. Wenn Sie drinnen bleiben, werde ich genauso reingehen und Sie von Raum zu Raum hetzen, bis ich Sie im allerletzten stelle. Das allerletzte Zimmer wird Ihnen bleiben, Pointsman, und dort werden Sie dahinvegetieren für den Rest Ihres verkommenen, prostituierten Lebens."
    Pointsman blickt ihn nicht an. Vermeidet seine Augen. Das war's, was Roger wollte. Die Polizei erscheint als Antiklimax, obwohl Aficionados von Verfolgungsjagden, solche Zeitgenossen, die keinen Blick aufs Tadsch Mahal, in die Uffizien, von der Freiheitsstatue werfen können, ohne gleich Verfolgungsjagd zu denken, Verfolgungsjagd, Verfolgungsjagd, wow, yeah, Douglas Fairbanks, der dort hinten über das mondhelle Minarett flankt - obwohl sich also solche Enthusiasten vielleicht auch für das Folgende interessieren:
    Roger taucht unter den Tisch, um sich seinen Hosenschlag wieder zuzuknöpfen, während die hitzigen Polypen über die Platte hechten, zusammenprallen, fluchen, und schon ist Roger unterwegs durch das pferdelederne, nagelbeschlagene, nadelgestreifte, von Mom argylebesockte Untergeschoß der Verschwörer von oben, eine heikle Passage, auf der jeder dieser

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