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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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waren. Man lächelt bloß und erwidert:
    »Souvenirs.«
    Es gibt auch einen Weißen, der auf dem Markt zu Saint-Louis hinter einem Vorhang auftritt, seinen großen weißen Bauch entblößt und ihn zu »Get Back« kreisen lässt. Ein Mann ist bereit, ihm dafür zwei Mangos zu geben mit der einzigen Auflage:
    »Der Bauch bleibt drin!«
    Jemand bietet mir eine Ware an. Ich sage nein, lächele. Der Mann nimmt meine Hand:
    »Ich danke dir für die freundliche Art, auf die du ›nein‹ gesagt hast. Es zeigt mir, du bist kein Rassist. Schau hier, unsere beiden Hände, schwarz und weiß ineinander, so soll es sein …«
    In den Griff schiebt er sein Geschenk, ein Armband aus Silberdraht.
    »Und du wärst verloren, wenn du nicht deiner Frau, schön wie sie ist, ausgehfertig für einen Club, dieses Armband überstreiftest …«
    Seine Konjunktive sind berückend, die Poesie seines Vortrags ist es.
    Doch »Nein« wendet die so belobigte Frau an meiner Seite ein. »Keine Geschenke, verdammt nochmal! Pack deinen Krempel wieder ein!«
    Da kommt er, schiebt sich mit seinem schweren Körper an sie, streift ihr das Armband über und lacht, während sie noch eine halbe Stunde später weiche Knie hat und erwartet, von einer Strafe ereilt zu werden.
    Nein, die Straßenhändler fragen nie nach dem möglichen Bedürfnis, sondern sie orientieren sich am unterstellten Reichtum. Deshalb bieten sie dem Rucksacktouristen eine einzelne elektrische Kochplatte an, dem Brillenträger eine ungeschliffene Sonnenbrille, der blonden Frau eine schwarze Perücke, dem Wildlederschuhträger eine schwarze Politur. Hätten diese Fremden nicht schließlich die Mittel, all das zu erwerben?
    Als wir keinen Fächer kaufen wollen, ruft die Händlerin, der eine riesige schillernde Fliege auf einer Oberlippenwarze sitzt:
    »Ihr werdet noch an mich denken. Ich werde euch erscheinen und ihr werdet weinen … Ihr werdet ein Dorf gründen, in dem immer Schatten ist … Ihr sollt …«
    So geht das immer weiter. Ausgelaugt kaufen wir eine Flasche Bissap, einen wässrigen, dunkelroten, nach Tee und Früchten schmeckenden Saft, und ein Bündel Zahnputzholz.
    »Ich gebe Ihnen ein Bonbon für die reife Frau!«, ruft ein Junge.
    Ich kaufe auch das Bonbon, des Arguments wegen.
    Es gibt da auch den siebenjährigen Mundharmonika-Verkäufer, bedeckt mit Instrumenten. Eines trägt er im Mund, eines in der Hand und eines im Kasten. Sobald er eine Absage bekommt, seufzt er in die Mundharmonika. Dann klingt sie wie Blues oder wie eine Handvoll Blue Notes, die in dem Instrument schon lange auf den Augenblick der Enttäuschung gewartet haben.
    Aber unter dem Chorgesang der Streunenden, der fliegenden Händler, der Werber und Führer bin ich mein Déjà-vu doch nicht los. Aber es ist nicht Gorée, es ist nicht die Sklaven-Architektur, die Hinterlassenschaft der Ausbeuter und Menschenhändler, der Kolonialherren und Unterdrücker, die so unausweichlich wirkt. Es ist etwas anderes. Ich weiß nicht, was es ist.
    Allein auf der Veranda des Hotels sitzend, mit Blick auf die Straße, kann ich Grundformen des hiesigen Lebens beobachten: Die Menschen hier organisieren sich in Mikrostrukturen, persönlichen. Sie konsumieren nicht zentralisiert, sondern gehen von Laden zu Laden, sie glauben nicht zentralisiert, sondern gehen aus der Kirche zum Wahrsager, zum Totem-Händler. Sie schaffen sich vertikale Systeme: die Bauern beschäftigen Bauern, die Kindermädchen haben selbst Kindermädchen …
    Die Abordnung der die Blinden führenden Jungen erscheint vor der Veranda. Es folgen die Fußballspieler aus dem Hurenviertel. Die Streichholzverkäufer lassen fragen:
    »Haben Sie nicht immer nach uns Ausschau gehalten? Da sind wir! Ein cadeau, bitte, ein cadeau!«
    Der Hotelier scheucht sie alle mit dem Staubwedel weg.
    »Pardon, Monsieur«, und dann sagt er wirklich: »Es sind eben die Nachfahren von Sklaven.«
    Das möge so sein, sage ich. Doch nirgends habe mich die Erinnerung an die Sklaverei so leibhaftig erfasst und erschüttert wie in Gorée, im Zentrum des afrikanischen Menschenhandels. Und es stimmte ja: Wir waren ganz still geworden im Sklavenhaus zwischen anderen, die da standen, überwältigt von dem Unrecht, dem Martyrium, der schrecklichen Reise …
    Der Hotelier lächelt ironisch, wird aber gleich darauf nüchtern wie ein Akademiker:
    »Ecoutez, ich will Sie nicht enttäuschen, und was Sie empfunden haben, haben Sie empfunden. Auch können wir es nicht ändern, aber amerikanische

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