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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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um das Crescendo des Paars legte und Anna-Maria im Kollaps der Musik in ihr größtes Wehklagen ausbrach, während ich unter einer Abbildung von Jacopo della Quercias »Grabmal der Ilaria del Carretto« saß und mit- und nachbebte.
    An einem Tag klingelte es an der Haustür und eine Männerstimme fragte:
    »C’é Riccardo?«
    Und ich antwortete verabredungsgemäß:
    »Non c’é Riccardo!«
    Wir hatten Ärger mit den Vermietern, deshalb ließen wir Leute nur mit Codewörtern herein. Das Treppenhaus hinaufgestiegen kam Peter, Freund einer der beiden Amerikanerinnen aus der Wohngemeinschaft, oder besser, ihr abgelegter Liebhaber – Peter, der Maler. Das Erste, was wir uns sagten, war, wir hätten es gewusst, gewusst, dass wir uns wieder begegnen würden.
    Peter hatte inzwischen sein Rückreiseticket in die USA verkauft, er plante, in Europa zu bleiben, Ästhetik zu studieren, Tapiès zu besuchen – der hatte immer noch nicht geantwortet – und sich seiner Malerei zu widmen. Einstweilen schlug er sich mit Wohnungsrenovierungen durch.
    Von diesem Tag an sahen wir einander fast täglich und teilten die Krisen der Wohngemeinschaft: Anna-Maria fand heraus, dass Luigi in Neapel Frau und vier Kinder hatte, der Türke strauchelte ins Drogengeschäft am Ponte Vecchio, und die Krise mit den Vermietern spitzte sich so zu, dass wir gemeinsam beschlossen, das Weite zu suchen.
    Peter wohnte zu jener Zeit in einem Benediktiner-Olivetaner-Kloster in Settignano über den Hügeln von Florenz, ein Bau, in dem ehemals wohl fünfzig Mönche Platz gefunden hatten, von denen aber nur noch vier übrig waren. So wurden denn auch nur vier der verbliebenen Zellen an weltliche Gäste vermietet, die sich bloß äußerlich an die Ordensregel zu halten hatten: keine Musik, kein Lärm, kein Frauenbesuch im Zellentrakt, über dessen Ausgang ein Schild mit der feierlichen Aufschrift »Clausura« hing.
    Der Abt, Don Carlo, war so klein und ausladend, dass die Kutte wohl die einzig tragbare Konfektion für ihn darstellte. Er empfing mich zu einer Gewissensprüfung, die ich bestand, ohne mein Gewissen besonders zu belasten. Nur als Peter zuletzt ein Foto von uns beiden machen wollte, weil mir der rotgesichtige Glaubensmann nur eben bis zum Gürtel reichte, lehnte dieser ab:
    »Ich bin nicht eitel, aber dieses Foto soll es nicht geben.«
    Ein alttestamentliches »Soll«. In den folgenden Monaten lernte ich dann die Eigenheiten der anderen Mönche kennen: Don Tarcisio las gerne aus den Packungsbeilagen seiner Medikamente vor, Don Lorenzo redete zwei Meter vor dem Fernsehgerät mit jedem einzelnen Politiker und gab Widerworte, und Don Gabriello besaß zwei Sammlungen, eine offene mit Parfümfläschchen, eine heimliche mit Transvestiten-Bildern, die zwischen den Seiten eines gut verborgenen Gesangbuchs steckten.
    Er war mit 21  Mönch geworden und hatte mit 23 erkannt, dass es der Wille des Herrn nicht sein konnte, einen jungen Menschen so früh in ein Kloster zu stecken. Folglich hatte er sich immer mal wieder Entgleisungen zuschulden kommen lassen. Wir redeten ihn auch nur aus Zuneigung mit »Don« an, war er doch nie befördert worden und somit der einzige »Fra« der Bruderschaft. Peter und mir war er am liebsten, und manchmal saßen wir nachts zu beiden Seiten seines hohen Bettes, in dem er, in ein eierschalfarbenes Trikot genäht, wie ein Mehlwurm saß und schweinische Geschichten erzählte.
    Am Morgen stellten wir dann den zwei Damen aus der Bar am Platz die Tische raus und aßen unsere Brioche, dann zog Peter zum Malen in die Berge, ich aber fuhr ins Institut und versenkte mich in die Kunsttheorie der Frührenaissance. Manchmal kamen wir frühmorgens in die Bar, und Mutter und Tochter knieten vor dem Fernseher, in dem der Papst kurz auf einem roten Teppich erschien. Ein paar Monate später war Peter endgültig pleite, akzeptierte einen größeren Renovierungsjob in Rom, und der Plan war, dass ich ihn über Siena – wo wir das berühmte Stadt-Pferderennen namens »Palio« besuchen wollten – bis nach Orvieto begleiten würde.
    Am Vorabend der Abreise nahm Peter zwei tiefe Schlucke Grappa aus einer bauchigen braunen Flasche, schnürte alle seine Gemälde zusammen auf seinen Rücken und zog von Bar zu Bar, wo er die gelangweilten Besitzer in ihren von Bildern gepflasterten Schankräumen mit Skizzen in Öl und Aquarell, mit Mauerecken, Heuschobern, verlassenen Tieren einzudecken plante. Und das Unmögliche geschah: Am Ende des Abends war Peter

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