Die Enden der Welt
und ein wenig verachten sie sie auch. Aus Bernadette aber strahlte das Versprechen der Sommernacht heraus, und es war Verlangen genug in ihr für zwei. Peter war der Hund, der, zu allem bereit, mit den geöffneten Armen eines Jesus mir die Entscheidung überließ. Ich aber war der Feige, der mit einem »Macht ihr nur!« den Rückzug antrat und in Bernadettes Blick zweierlei erkennen konnte: ein Bedauern über den Verzicht und eine in Freundlichkeit aufgelöste Verachtung über den schamhaften Mann, der vielleicht auch nur die Konkurrenz scheute.
Unser Abschied fiel deshalb von ihrer Seite so mütterlich aus, dass es fast verletzend war. Peter gab noch rasch den loyalen Freund, der immer noch bereit sei zu verzichten, schließlich gebe es Wichtigeres. Aber da waren wir schon verabredet für zwölf Uhr mittags am nächsten Tag vor dem Dom von Orvieto, und seine Begierde war jetzt schamlos und direkt. Ich bog zum Bahnhof ab. Als ich mich zum letzten Mal nach den beiden umsah, griff Peters Hand in ihren Hintern, als wolle er sagen: So macht man das, und sie warf im Gehen den Kopf in den Nacken und lachte den Nachthimmel an.
Nachdem ich am Bahnhof erfahren hatte, dass der nächste Zug nach Orvieto erst im Morgengrauen fahren sollte, legte ich mich in der Wartehalle zu ein paar Rucksackreisenden in eine Ecke und schlief für Stunden, war aber rechtzeitig wach, um den Zug nach Orvieto abzupassen.
Er war noch nicht eingefahren, als ein Pärchen – zerzaust und mit verrutschten Kleidern – an den Bahnsteig torkelte – Peter sichtlich ernüchtert, Bernadette selig, aber derangiert und schräg in seinem Arm hängend, ihre Jeans mit Grasflecken bedeckt. Zum Abschied wurde sie von Peter nur noch routiniert geküsst. Als der Zug den Bahnsteig hinter sich ließ, war ich es, der am längsten winkte, denn sie wollte nicht aufhören, eine strahlende, herzliche, ein wenig verrückte und zuletzt im großen Bogen über dem Kopf winkende junge Frau zu ihrer Zeit.
Im Zug wollte Peter zuerst wissen, ob ich ihm böse sei. Als ich es nicht war, zog er seine braune Wildlederjacke aus und schenkte sie mir. Als ich aber nach der Nacht im Gras fragte, schüttelte er nur einsilbig den Kopf wie jemand, der sich überfressen und nichts als ein schlechtes Gewissen zurückbehalten hat: Zu wild, zu irr sei das gewesen, sagte er, die Selbstbeherrschung habe er verloren, das sei nicht gut.
Wir erreichten Orvieto, die himmelstürmende Stadt, noch am Vormittag. Der Dom steht an der höchsten Stelle, kratzt die Wolken und schreckt das Volk mit himmelschreienden Visionen. Morgen ist auch noch ein Tag, mögen sich die Einheimischen gedacht haben. Aber dann fanden sie sich vor Luca Signorellis Freskenzyklus in der San-Brizio-Kapelle des Doms und mussten glauben, die Hölle habe die schönsten Nackten und der Himmel das flauschigste Federvieh. Doch wenn dereinst einmal der nächste Tag der Jüngste ist, werden sie sich plötzlich von den himmlischen Soldaten dem greisen Charon überantwortet und in die Verdammnis gerudert finden. Dann haben sie es versäumt, sich rechtzeitig sachkundig zu machen.
Luca Signorelli, der dies voraussah und malte, war selbst ein rätselhafter umbrischer Zugereister, frenetisch interessiert am Anatomischen und in seinen Phantasien von Dante gelöst, der doch sonst die Vorstellung von der Hölle über Jahrhunderte hinaus prägte, wo nicht bestimmte. Signorelli soll bei seiner Arbeit sogar einmal vom Gerüst gestürzt sein, aber in die Hölle fällt auch niemand weich.
Ich erzählte Peter über den Zyklus, was ich wusste: dass er erst Ende des 15 . Jahrhunderts begonnen worden, dass Signorelli Mitstreiter, wenn nicht Konkurrent Michelangelos gewesen sei und hier die bis dahin umfangreichste Darstellung des Endzeitdramas hinterlassen habe.
»Hier erfahren wir«, dozierte ich: »Der Himmel nimmt nur Junge und Nackte auf, und Standesunterschiede kennt er nicht. In die Hölle dagegen werden die Niederträchtigen nicht einmal eingelassen, sondern zuerst am Boden massakriert, die Prostituierten durch die Lüfte entführt, von Teufeln mit athletischen Figuren gequält und von Dämonen bespuckt. Zum Weltuntergang schwitzen die Bäume Blut, und Blut regnet es auch aus dem Himmel, die Sterne verlassen das Firmament, und die Erde geht in Flammen auf. Gerippe kriechen aus der Erde und ziehen sich neues Fleisch an. Alle schlank und proper.«
Peter hatte zwar Monate im Kloster hinter sich, war auch der Apokalypse gegenüber
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