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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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wiederholte mehrfach:
    »Tanti saluti di Bernadette!«
    Zunächst brachte ich sein Gesicht, meine Zelle in der »Clausura« und den Namen Bernadette nicht zusammen.
    »Sie war da«, flüsterte Antonio. »Una vera donna!«
    Am späten Nachmittag war sie eingetroffen, hatte in der Abenddämmerung auf dem Mäuerchen vor dem Kloster gewartet. Bei Einbruch der Nacht war sie ins Innere geführt worden, und Don Carlo hatte ihr erlaubt, im Esssaal, außerhalb der »Clausura«, auf mich zu warten. Antonio hatte ihr Gesellschaft geleistet und sie mit vielen lustigen Geschichten unterhalten. Als er sie nach zwei Stunden fragte, ob er störe, hatte sie trotzdem »Ja« gesagt, dann eine Zeitlang allein an einer Zeichnung gearbeitet – er überreichte sie mir –, dann hatte er wieder bei ihr gesessen in dem leeren, halligen Refektorium, unter dem Streulicht, am Fenster mit Blick auf die ferne Stadt. Um drei Uhr früh war sie wieder aufgebrochen, Antonio hatte sie zum Taxi begleitet und war dafür zu beiden Seiten geküsst worden.
    Auf der Zeichnung sah man einen der sienesischen Fahnenträger des Palio in voller Kostümierung. Die Fahne selbst war beschriftet mit Bernadettes Worten an mich:
    »Lieber! Ich habe dich erwartet die halbe Nacht lang. Jetzt ist es zwei Uhr. Endlich habe ich die kleine Nervensäge abgeschüttelt, Antonio, Deinen Uffizien-Wärter. Ihm gebe ich dies mit, damit Du weißt: Die halbe Nacht habe ich auf Dich gewartet. Nun muss ich zurück nach Rom. Von Rom aus fliege ich zurück nach Denver. Leave me not«, schloss sie. »Be here.« Darunter hatte sie in kleinen Versalien ihre amerikanische Adresse gesetzt, Wohnblock und Stockwerk.
    Nicht lange danach zog ich von Settignano nach Deutschland zurück. Wir schrieben uns lange, kühne, verworrene Briefe – die ihren von Vignetten und Zeichnungen überwuchert, unterbrochen von Parenthesen, versehen mit Sternchen, Anmerkungen, Fußnoten, Einschüben, die meinen voller Anzüglichkeiten, Doppeldeutigkeiten und Vorwegnahmen von Exzessen. Wir schrieben uns, versponnen und anzüglich, bis wieder Sommer war. Da schickte sie ein Foto. Das zeigte sie lachend auf dem Bürgersteig einer großen amerikanischen Straße. Sie beugte sich der Kamera entgegen, und auf der Linken ihres Kopfes floss ein Zopf bis auf die Höhe der Taille. Etwas Ungesundes lag in ihrem Lachen, aber um ihre Füße wieselte ein Hündchen, und das Licht, das sie umgab, war stark und warm.
    Ach, Bernadette, dachte ich, da bist du, und hatte wieder ein Gefühl dafür, wie sie beim Palio bewusstlos in unsere Arme gesunken war, und sah wieder, wie sie in ihrer mit Grasflecken übersäten Hose, schräg in Peters Arm, auf den Bahnhof gestrauchelt kam, nach Stunden, die Peter »nicht gut, nicht richtig« genannt hatte.
    Eine Woche später kehrte ich nachts heim, schließlich hatte auch das Leben zu Hause wieder an Verve gewonnen, doch da jauchzte eine Stimme aus dem Anrufbeantworter in den Raum, sie frohlockte mir in einer hohen Tonlage entgegen: »Guess who-hoo?«
    Zum Fürchten euphorisch.
    Geschafft! Sie habe es geschafft, frei sei sie, endlich frei! Sie sagte nicht, wovon, aber wozu: »I’m coming!«
    In nicht mehr als exakt zwanzig Tagen würde sie mich mittags um zwölf Uhr im Dom von Orvieto erwarten, vor Luca Signorellis »Jüngstem Gericht« natürlich, »to reinvent history«, wie sie sich ausdrückte. Es folgte ein kurzes Gerede, schwerverständlich, weil offenbar der Straßenlärm Denvers zum Fenster hereinschwoll, dann schrie sie abermals, und zwar: »I’m leaving!«
    Ihre Stimme, immer noch hoch und voller Vibrato, klang schon erfasst vom Fahrtwind, und ihr Glück drang in die tiefe deutsche Nacht meines Zimmers wie eine Mitteilung aus einem anderen Zustand.
    Ich könne sie nicht anrufen und ihr nicht schreiben. Sie sei jetzt weg.
    »Just be there«, jauchzte sie und legte auf, doch es klang, als habe sie danach noch weitergeredet. Ich spielte das Band ein zweites, ein drittes Mal. Faszinierend. Was immer wir machten, wer immer wir sein würden, es hätte wenig mit der Welt zu tun, aus der wir aufbrachen, um uns zu finden. Meine Phantasie hatte Schlagseite, und ich wollte den Feigling gerne vergessen machen, der ich gewesen war, als ich mich damals zum Bahnhof trollte. Es war Sommer. Ich träumte von Grasflecken und löste ein Zugticket nach Orvieto.
    Die Stufen zum Dom hinaufsteigend, der sich an diesem Mittag in den gleichen Sonnenglast hüllte wie im Jahr zuvor, wurde ich kurz missmutig

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