Die Enden der Welt
Polizeistation sieht aus wie von einer Modelleisenbahn hierher versetzt, und angesichts der paar Vehikel, die in dieser Gegend zugelassen sind, fragt man sich, welcher Verkehr denn wohl zu regeln sei. Ein paar Kilometer später steht dann noch eine Baracke mitten im Qualm. Dies ist das kleine Dschungelbordell, abgerückt von der Straße und unscheinbar. Hier warten fünf Mädchen auf ihre Freier, eines im Schaukelstuhl auf der Veranda, vier auf dem einzigen Sofa im Salon.
Das Mädchen im Schaukelstuhl trägt ein langes traditionelles Gewand mit goldenen Fäden im Rot. Es ist hoch geschlitzt, das ist die Sünde. Weil das Mädchen eingeschlafen ist, weiß es nicht, dass der Schlitz gerade sperrangelweit offen steht und das braune Bein bis zum Ansatz freigibt. Ja, man kann sogar ein eierschalfarbenes Höschen nicht übersehen. Als ich aber vorbeischleichen will, öffnen sich die Augen des Mädchens zu Schlitzen, und es erwacht als eine Frau, die nichts zurechtrückt, sondern lieber einen Moment der Schamlosigkeit auskostet.
Im Inneren der Baracke kauern die vier anderen Mädchen rings um einen Bambustisch. Meist warten sie lange. Legen Patiencen, verkaufen einem vorbeischlurfenden Bauern eine Diät-Cola und sehen dem Esel hinterher, wie er über die Straße geht. Eines Tages wird er nicht mehr kommen. Und eines Tages wird auch das kleine Hurenhaus zwischen den Trockenreis- und den Zwergananasfeldern in Flammen aufgehen. Nicht viele werden hier Lust erlebt haben, manche vielleicht die erste Liebe. Die werden sein Ende als Verlust empfinden.
»Komm her«, winken die Mädchen, als ich schon in der Tür stehe.
Ich werde hineingeführt, erhalte eine Cola. Hinter improvisierten Paravents sind fleckige Laken zu sehen, Kissen in verschossenem Rot.
Ich sitze bloß da im hintersten Winkel, den sie aus Stellwänden zusammengeschoben haben. Wir spielen Karten, wir trinken Cola. Die Mädchen verlassen eines nach dem anderen den Raum, machen sich irgendwo zu schaffen, kehren zurück, rotieren, damit ich leichter wählen kann. Irgendwo in einem Winkel auf der anderen Seite der Baracke robbt jemand über den Boden. Das muss das Liebesspiel sein, klingt aber wie Putzen. Das Mädchen, das heraustritt, wischt sich die flache Handfläche am Kleid ab. Der dazugehörige Mann lässt sich nicht blicken. Wir spielen noch eine Partie Mau Mau, vergleichen die Größe unserer Hände und legen die Unterarme zum Teint-Vergleich nebeneinander:
»Nice complexion!«
Die Schönste macht ein melancholisches Gesicht, als ich mich zum Gehen anschicke. Danke. Sie fragt, ob ich nicht mit ihr gehen will. Ich schüttele den Kopf. Sie sagt, dass sie eigentlich nicht einmal verstehen könne, wie irgendjemand mit einer der fünf Frauen mitgehen könnte. Da wäre ich ihr fast gefolgt. Als ich endlich gehe, seufzt sie wie eine Seemannsbraut. Auf der Straße steht, geht, fährt niemand. Die Sonne dampft sengend durch den Dunst. Doch immerhin hat das Bordell Verkehrsanbindung.
Nur in Tangkiling, jenem Dorf, zu dem die Straße von Palangkaraya führt, da gibt es nichts, und nicht einmal die Straße findet einen anständigen Abschluss. Sie endet, ohne zu enden, sie verläuft sich einfach, als sei sie bloß zu erschöpft, weiterzumachen. Was sie versammeln konnte, das hat sie versammelt, nun ist sie müde wie der Boden.
Dies ist allenfalls der Brückenkopf in den Dschungel, in das Nichts-als-Dschungel. Erst hier öffnet sich das mythische Land der Ureinwohner dieser Wildnis, der Waldmenschen, wie sie wörtlich heißen, der Orang-Utan, die heute gejagt und vertrieben, von Transmigranten eingekesselt oder als Haustiere missbraucht werden und die man früher einmal wie eine eigene Bevölkerung ehrte. Bei den Dayak, den Ureinwohnern Borneos, liegt ein Tabu auf dem Inzest und auf der Lächerlichmachung von Tieren. Bei Verstoß droht dem ganzen Dorf die Strafe der Versteinerung.
Der erste wilde Orang-Utan, den ich sehe, steht aufrecht unter der gleißenden Mittagssonne, hoch oben in einem schneeweißen Baumgerippe. Er hat aus den Luftwurzeln eines parasitären Organismus Zweige für sein Nest gerissen und bricht kurz darauf in der Nachbarschaft zwei tote Äste ab, um sie zu Boden zu schleudern. Auch das Deponieren von Zweigen auf dem Boden, das Hämmern auf leere Strünke oder Umstürzen von Bäumen folgt nicht blinder Zerstörungswut. Vielmehr werden solche lärmenden Aktionen von den Affen als ein Kommunikationsmittel benutzt, durch das sie ihr Territorium
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