Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
Armbinde identifiziere ihn als schwerbehindert und er würde jedes Mal darauf verweisen, wenn ihn jemand beschuldigte, nicht richtig zuzuhören. Außerdem war sie ein Geschenk des getöteten Generals Peterson gewesen, weswegen es sein Stolz verbot, sie jemals abzulegen. Nun verstand Cassidy auch, warum er sich als Einziger nicht über das laute Hupen vor Temple Town beschwert hatte.
Mit den letzten Worten kapitulierte Angel beim Versuch Johnnys Gewehr zu reinigen und setzte ihren Rundgang fort. Der Patrouillenweg um das Feldlager war ihr bestens bekannt. Sie nutze ihn jedes Mal, wenn ihr Team zwischen den Kleinstadtruinen rastete, und wies ihre junge Freundin gelegentlich auf gefährliche Mauervorsprünge, herausragende Stahlrohre und ähnlichen Schrott hin. Eine Zeit lang beobachteten sie einen hellbraunen Skorpion auf der Jagd nach seinem Nachtmahl, bis das grazile Tier in ihre Richtung drehte und sie die Patrouille lieber fortsetzten.
Als Angel nahe der Kirche dem Ruf der Natur folgte, betrat Cassidy das alte Gemäuer und war fasziniert von den verblassten Wandmalereien und bunten Mosaikfensterscherben. Das flackernde Licht des Lagerfeuers fiel durch das zerfallene Eingangstor und reflektierte sich auf einem metallischen Objekt im Staub des zerstörten Altars. Als sie sich auf den Boden hockte und den Schmutz beiseite fegte, offenbarte sich ihr eine goldene Kette mit einem kleinen Anhänger in Form eines Kreuzes. Angel war mittlerweile zurückgekehrt und ließ sich das Schmuckstück zeigen.
»Ein religiöses Relikt aus der Zeit vor dem globalen Kollaps. Die Menschen haben früher zu irgendwelchen imaginären Götzen gebetet, wenn sie mit ihrem eigenen Leben nicht klarkamen oder einen Sündenbock brauchten. Das Symbol hatte irgendwas damit zu tun, hat mich nie interessiert«, brummte sie mürrisch. »Behalt sie ruhig. Für solches Glitzerzeug bekommst du nicht mal einen Becher Wasser!«
Angel reichte ihr den Anhänger und kehrte zur Patrouillenroute zurück. Cassidy war die Bedeutung des Kreuzes völlig egal, ihr gefiel der warme Glanz, den das Schmuckstück ausstrahlte. Bevor sie ihrer Freundin folgte, enträtselte sie den komplizierten Verschlussmechanismus und hängte sich die Kette um den Hals. Der Mond stand mittlerweile hoch am Himmel, eine schmale Sichel, die kaum Licht spendete. Nur noch wenige Stunden trennten sie vom Sonnenaufgang. Hatte Angel nicht etwas von erster Wache gesagt? Wäre es da nicht langsam an der Zeit für die Wachablösung? Cassidy war sich nicht sicher, ob sie ihre Retterin danach fragen sollte, doch der waren die zufallenden Augen ihres Schützlings nicht entgangen.
»Müde?«, flüsterte sie dem Mädchen ins Ohr, das daraufhin erschrocken zusammenzuckte.
»Nicht wirklich, aber durch den Schlaf im Wagen tun mir sämtliche Knochen weh«, ächzte sie und zwang sich ein gequältes Lächeln ab.
»Wenn du willst, wecke ich Kim und sag ihr, sie soll dich ablösen!«
»Nein, es geht schon. So fühl ich mich wenigstens nicht so nutzlos.«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Angel erstaunt, während sie den Wüstensand aus ihren langen Haaren bürstete. Cassidy hockte sich auf den staubigen Boden und starrte seufzend auf die schallgedämpfte Pistole. Inzwischen hielt sie die Waffe sicherer in der Hand, aber dass sie einen Menschen erschossen hatte, erschien ihr nach wie vor unwirklich. Nun verstand die pragmatische Frau, worauf sie hinaus wollte und kniete sich mit einem absichtlich hilflos klingenden Ächzer neben ihren Schützling.
»Eigentlich solltest du mir Vorwürfe machen und nicht dir selbst. Ich hätte dich nie in diese Lage bringen dürfen!«
»Fällt es einem irgendwann leichter?«, fragte Cassidy nachdenklich, ohne den Blick von der Pistole abzuwenden.
»Oh ja«, antwortete ihre Retterin stoisch und starrte dabei ins Nichts. »Zu leicht.«
Eine depressive Stimmung hielt Einzug. Für ein paar Minuten fehlten beiden die Worte, bis Angel entschied, das Thema zu wechseln und ihrem Schützling durch die zerzausten Haarsträhnen strich.
»Aber wenn du Glück hast, dann beginnt morgen Abend ein neues Leben für dich, mit richtigen Betten, regelmäßigem Essen und gänzlich ohne Schusswechsel!«
Trotz der unwirklich klingenden Worte vermochte sie das Mädchen damit aufzumuntern. Gemeinsam setzten sie die Patrouille fort, bei der Angel hin und wieder innehielt, um zu lauschen oder einen Blick durch ihr Scharfschützenvisier zu werfen. Mit geschulten Augen suchte sie am
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