Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
Jade die Prätorianer einen Ring um das Anwesen bilden und so jeden Fluchtweg abschneiden. Den eigentlichen Angriff führten die Bacchae selbst aus, die ihrem mythischen Namen dabei alle Ehre machten. Wie im Blutrausch stürzten sie sich durch Fenster, Türen und Strohdächer, schlugen mit Schwertern, Messern und bloßen Händen um sich, ritzten ihnen vergiftete Nadeln ins Fleisch, kratzten den völlig überrumpelten Entführern die Augen aus und bissen sogar zu, wenn sie einen Arm oder ein Bein zu fassen bekamen. Nur selten drang der Schuss einer Pistole oder Schrotflinte nach draußen. Das Ritual der Blutrache galt als besondere Zeremonie des Bacchaekults und wurde bevorzugt im Nahkampf ausgetragen.
Erst als im Morgengrauen die Sonne über den Löchern im Dach und den eingeschlagenen Fensterläden erschien, war das Schlachtfest beendet. Während der Nacht hatte Jade ihren Bruder Joshua entdeckt, der am Tag zuvor bei einem Fluchtversuch erschossen worden war. Von ihren beiden Schwestern fehlte zunächst jede Spur, bis Felicia leise Kratzgeräusche an den Holzdielen vernahm. Unter einer Falltür im Boden stießen sie auf einen Vorratskeller, in dem Celine kreidebleich nach Luft rang, als Nadra mit ihren blutverschmierten Lippen die Holztür öffnete. Erst als Jade die Hand in das Loch streckte, beruhigte sich ihr Atem. Die Frauen versammelten sich um das unheimliche Verlies und fragten Celine immer wieder nach dem Verbleib ihrer Schwester Inara, aber das neunjährige Mädchen brachte keinen Ton hervor. Jade kletterte in das Loch hinab und suchte nach falschen Wänden oder ähnlichen Verstecken, doch Inara war nirgends zu finden.
»Seit diesem Tag hat Celine kein Wort mehr gesprochen«, sagte Jade ernst.
»Habt ihr Inara gefunden?«, fragte Cassidy vorsichtig.
Jade schüttelte den Kopf. »Celine und ich sind auf der Suche nach ihr ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch das Imperium gereist.« Sie rieb sich die brennenden Augen. Die Müdigkeit setzte ihnen mittlerweile allen zu. »Es ist, als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden.«
»Du hast die Kleine mit neun Jahren einfach mitgenommen?«, wunderte sich Dog. »Wo die nicht mal reden kann?«
»Das brauchte sie nicht«, erwiderte Jade. »Celine hat eine besondere Gabe. Sie merkt sich alles, was sie sieht. Die Farbe eurer Kleidung, jede Narbe, jedes Gesicht.«
»Ein fotografisches Gedächtnis«, fügte Jacob hinzu.
»Wir haben auf dem Bauernhof nicht alle erwischt. Sieben von denen sind schon vor unserem Eintreffen mit Inara verschwunden«, fuhr Jade fort. »Drei konnten wir finden. Celine hat sie genau erkannt; mit dem Finger auf sie gezeigt. Felipe de Souza war nicht dabei. Die Bacchae suchen seitdem nach Hinweisen, aber inzwischen ist so viel Zeit vergangen, ...«
Tijana fiel seit einer halben Stunde immer wieder der Kopf in die Brust und Jacob gähnte ebenfalls hinter vorgehaltener Hand. Es war längst nach Mitternacht und Jade wollte bereits im Morgengrauen aufbrechen. Kenan holte auf Zehenspitzen einen Ballen Lammfelle aus der Nachbarjurte und teilte sie mit den drei Gästen. Sie waren fachmännisch gegerbt worden und dementsprechend kuschelig weich.
Während das Feuer leise vor sich hinknisterte und das Licht in warmen Tönen an den Jurtenwänden flackerte, schlief Dog sofort mit wohligem Schnarchen ein. Cassidy war ebenfalls müde, doch Jades Geschichte hielt sie bei Bewusstsein. Es erschien ihr so naiv, dass die Ranger die Sicarii vor ein paar Wochen noch für wilde Barbaren gehalten hatten. Für Jade konnten die Ranger nicht viel zivilisierter als die Vultures gewirkt haben.
Am Klang ihrer Stimme hatte Cassidy erkannt, dass sie ihre Leidensgeschichte nicht zum ersten Mal erzählte. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass Jade gewisse Details für sich behielt. Angel hatte ihr ein paar Grundlagen der Verhörtechnik erklärt. Cassidy fragte sich, ob Jade aufgefallen war, wenn sie hin und wieder zu stark genickt oder zu erschrocken durch die Zähne gezischt hatte. Auf jeden Fall ließ sie sich nichts anmerken, sondern starrte regungslos in das Lagerfeuer, bis es vollständig erloschen war und die Schwärze der Nacht sie verhüllte.
4 – Festung der Weisheit
J ade machte ihre Drohung wahr und brach im Morgengrauen auf. Nur Tijana verabschiedete sie mit einem mehr erzwungen als freundlich wirkenden Lächeln auf ihren spröden Lippen. Jacob und Kenan waren längst wieder bei ihren Tieren und Jades Eltern tauchten erst auf, als ihre
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