Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
...«
»Natürlich wusste ich, welche Aufmerksamkeit das nach sich ziehen würde. Das war schließlich meine Absicht«, konterte Angel prompt. Sie hielt ihm ihre aufrechten Handflächen entgegen und signalisierte, dass er sich zunächst den Rest der Geschichte anhören solle. »Ich hab damit gerechnet, in Alexandria direkt nach dem Aussteigen in Empfang genommen zu werden. Aber wieder ging alles viel leichter, als ich es mir vorgestellt hatte.«
Sie schnappte sich ihr Glas und schlurfte zur Küche, um es mit klarem, kalten Wasser aus der Wand zu füllen. Zumindest die Diplomatenunterkunft hatte in Sachen Luxus einiges mit der Biosphäre gemein. Flüsterleise Lüfter, elektrische Jalousien an den Panoramafenstern, funktionierende Fahrstühle. Es würde definitiv einschüchternd auf Fremde wirken, die seit zwei Jahrzehnten nur den barbarischen Lebensstil der Endzeitsteppe gewohnt waren. Angel ließ das Überangebot nach ihrer kurzen Zeit als Jiaos Gäste dagegen beinahe kalt. Sie war jedoch froh, dass Amy ihr nicht mehr permanent über die Schulter sah. Nur die Klimaanlage wünschte sie sich zurück.
»Der Zug war komplett überfüllt, aber das schien niemanden zu stören. Ein paar Leute saßen sogar auf dem Dach, was bei der Hitze in den Abteilen sicher keine schlechte Idee war. Ich konnte einen Sitzplatz im hinteren Teil des Triebwagens ergattern und wartete darauf, dass es losgehen würde, während sich die Menschen um mich herum wie Sardinen in eine Büchse quetschten. Neben mir saß eine Frau von Bettys Ausmaßen mit einem Käfig voller Hühner, die pausenlos gackerten. Ich war schon kurz davor, selbst auf das Dach zu klettern, als sie ein paar Minuten nach der Abfahrt einfach aufstand und einer anderen Frau Platz machte, die sich ohne zu fragen neben mich setzte. Sie begrüßte mich mit meinem Namen und stellte sich selbst als Scarlet vor.«
»Von der haben wir gehört«, murmelte Dog. Aufgrund des Monologes hatte er Hunger bekommen und durchwühlte die Schränke nach Essbarem. Dann fiel ihm die Dienerin ein, die Sydney ihnen zugeteilt hatte und die vor der Wohnungstür auf sie wartete. Arbiter wurden sie genannt. Vermutlich postiert um Wache zu halten, aber das interessierte seinen knurrenden Magen momentan nicht. Bevor Angel ihren Bericht fortsetzen konnte, stampfte er zur Tür und spähte hinaus.
»Hey! Du da! Gibt‘s hier drin auch was zu essen?«
»Das Angebot von Alexandria steht euch offen«, antwortete die junge Frau. Sie war Anfang zwanzig und hatte einen schwarzen Pferdeschwanz mit kurzem Pony. »Das Abendessen wird erst in zwei Stunden serviert, aber ich kann euch etwas vom Marktplatz bringen lassen. Habt ihr einen speziellen Wunsch?«
»F...«
Weiter kam Dog nicht. Angel wollte nicht schon wieder das Risiko eingehen, dass er über ihren Kopf hinweg bestellte. Sie war zur Tür geeilt, um selbst das Wort zu ergreifen.
»Ein paar Früchte wären nett und ...« Dann sah sie Dogs gestraften Hundeblick. »Und für ihn irgendwas mit Fleisch.«
»Bier! Habt ihr kein Bier hier?«, platzte es aus ihm heraus.
»Ich bitte um Verzeihung Herr, aber Alkoholgenuss ist in Alexandria nur in Ausnahmefällen gestattet«, erwiderte die Dienerin mit gesenktem Haupt, ohne jemals Augenkontakt mit ihren Gästen herzustellen. »Ich kann euch stattdessen eine Auswahl an Fruchtsäften anbieten.«
Dog verzog enttäuscht das Gesicht. Obst und Fruchtsäfte. Zumindest konnte er auf etwas Fleisch hoffen.
»Dafür wären wir dir sehr dankbar«, sagte Angel gönnerhaft und schloss hinter sich die Tür.
Während sie auf ihre Bestellung warteten, kehrten sie ins Wohnzimmer zurück, wo Dog sich auf das luxuriöse Ledersofa flegelte und ihr von Jiaos Erzählungen über Scarlet berichtete.
»Sie hat mir nicht alles erzählt«, antwortete Angel ihm dabei nickend. »Yuen hat Scarlet wohl tatsächlich zwei Jahre lang gefangengehalten und gefoltert, ohne dass seine eigene Tochter etwas davon wusste. Nur eine Handvoll Eingeweihter hatten Zugang zu ihr. Sie wurde immer wieder verhört und angeblich haben die erfolglos versucht, sie umzudrehen und gegen die Sicarii arbeiten zu lassen. Vor zwei Monaten hat Doktor Webb die Nase voll gehabt und sie zusammen mit ihrem Krankenpfleger Jurij ohne Erlaubnis von Yuen auf freien Fuß gesetzt.« Angel rappelte sich in ihrem Sessel auf und blickte Dog stirnrunzelnd an. »Hat dir eigentlich schon jemand gesagt, dass Faith eine von denen ist?«
Der Hüne rieb sich die geschlossenen Augenhöhlen
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