Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Grasnarbe. Morgen schon? Oder wann würde die Brühe sich einen Ausweg in die Abwasserrohre suchen, mit jeder Klosettspülung näher an das Sommerhaus der Familie Lövgren heranschwappen, dann aus der Schüssel fluten? Heidi hatte ihm das Unweigerliche eindringlich ausgemalt, ihn anschließend zur Kontrolle geschickt. Ruckweise schob er die Scheibe zurück. Erdbröckchen plumpsten zufrieden in die Brühe.
– Kein Problem!, rief er, da ist noch Luft für Wochen. Was ging dieser Scheiß ihn an? Er hatte Wichtigeres zu tun.
Heidi sah kurz von ihrem Buch auf, nickte beruhigt, Malin und Sassie lagen schläfrig im Schatten der Fliederbeerhecken, und wenn seine Augen ihn nicht täuschten, dann war es Classens blonder Schädel, der in der Badebucht aufleuchtete, während seine Töchter vom Strand aus mit Steinen ein Schwanenpaar bewarfen. Ein herzrührendes Sonntagsidyll.
Zwei Stunden später stand er neben Holzapfel auf dem Gelände einer Busfirma in Västerhaninge. Über dem Festland war Regen gefallen, den giftigen Grünstich der vorbeiziehenden Gewitterwolken hatten sie vom Oberdeck der Fähre aus bewundert. Jetzt spiegelten sich harmlose Wölkchen in der teichgroßen Pfütze vor den Garagenbauten, ein kühler Wind zog auf. Holzapfel zupfte ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und schnäuzte sich.
– Wie hat Classen dich aufstöbern können?, fragte er.
– Jemand wie er findet dich überall. Das ist sein Beruf. Maria hat ihm gesteckt, dass ich in Schweden bin, alles Weitere war eine Kleinigkeit für ihn, behauptet er. Am Ende hat er mich über mein Mobiltelefon aufgespürt, frag mich nicht. Myrbäck schob einen rostigen Kuhfuß unter die Garagentür. Mit harmonischen Bewegungen begann er, sie aufzuhebeln.
– Einmal telefonieren, schon bist du dran. Ich sag’s ja immer wieder. Aber kein Mensch hört auf mich.
– Ich telefoniere mit meinem Sohn, wann ich es will, meinte Myrbäck, niemand wird es mir verbieten. Du schon gar nicht. Auf dem größten Platz Stockholms triffst du dich heimlich mit einer Frau.
Holzapfel zuckte kurz, aber er schien nicht wirklich überrascht vom Wissen Myrbäcks.
– Was geht es dich an? Die Frauen mögen mich eben.
– Verarsch mich nicht, sagte Myrbäck. Ich erinnere mich an ihr Gesicht. Ihre Frisur. Ich bin ihr drei Mal begegnet. In Hamburg. Vor einer Waffelbude im Heimdalsväg. Mitten auf Södermalm.
Holzapfel starrte ihn an. Er sah wirklich verblüfft aus. Er knabberte am Nagel seines Daumens.
– Komm schon. Leugnen ist zwecklos.
– Die Frau und ich, fing Holzapfel an, wir hatten eine tolle Idee. Nein, falsch. Die Frau hatte eine Idee. Sie arbeitet für Privatunternehmen, manchmal auch für deutsche Behörden. Objektschutz, Personenschutz, je nach Auftrag. Sie sollte sich um die Kiste kümmern. Mit ihren beiden Helfern ist sie wochenlang durch die Gegend gefahren, tagaus, tagein.
– So lange, bis sie das Ding behalten wollte, was?
– Ja, so in etwa. Sie hat wohl nachgedacht. Und verstanden, dass diese Kiste mehr wert ist als alles, was sie je bewacht, transportiert, geschützt hatte. Personenschützer verdienen sich heute auch nicht mehr dämlich. Man lebt so am Rande der Pleite, hat sie mir erzählt.
– Warum hat sie sich nicht einfach die Kiste genommen? Sie saß doch mit ihrem Hintern direkt drauf.
– Sie war nie allein unterwegs. Ihren beiden Helfern traut sie nicht über den Weg.
– Sagt sie.
– Ja, sagt sie. Und ich glaube ihr. Und sie wird mir helfen, einen Käufer zu finden.
– Sie und du. Ihr beide. Hammerwitzig. Du weißt nicht mal, wo deine Kiste ist. Und wo hast du sie überhaupt kennengelernt, diese Frau?
– Beim Kegeln.
– Du hast sie gevögelt?
– Nein, sie hat mich gevögelt. Holzapfel grunzte. Es klang zufrieden.
– Hat sie auch einen Namen?
– Jana. Wir haben uns immer wieder mal getroffen, irgendwann hat sie begriffen, wovon ich lebe. Dass sie mich gut gebrauchen kann. Die Frau hat einen siebten Sinn. Oder einen achten.
– Und dann? Was habt ihr euch ausgedacht?
– Während sie ihre Kollegen ins Spätkino schleppte, sollte ich mir ihren Wagen holen.
– Das hat dann aber der andere Trottel erledigt. Ich.
Ein Knirschen im Metallrahmen kündete von der erfolgreichen Arbeit Myrbäcks. Das Garagentor ließ sich widerstands los aufschieben. Sechs Busse standen aufgereiht im Halb dunkel. Den längsten von ihnen maß Holzapfel mit großen Schritten ab.
– Zehn Meter, meinte er. Dieser hier ist es.
– Lenk nicht ab!
– Ich
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