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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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ihre Nester unter den Sockelleisten verließen.
    Schlaftrunken verließ sie ihr warmes Bett, schlich barfuß über die knarrenden Flurdielen, das Treppengeländer hinab, warf dann, beide Hände am Geländer, einen Blick aus dem Fenster zur Veranda, um zu prüfen, ob die Nacht schon auf dem Rückzug war, und rein gar nichts, nicht ihre Schläfrigkeit noch ihr Wirklichkeitssinn, auf den sie sich einiges einbildete, dämpften ihr Entsetzen, als sie dabei in ein Gesicht ohne Nase blickte.
    Der Schrecken war so lähmend, dass sie nicht einmal aufschrie. Sie stürzte gleich der Länge nach hin und riss dabei einen Teil der Garderobe von der Paneelwand.
    – Ohne Nase?, fragte Holzapfel, der vom Lärm aus dem Schlag gerissen worden und zu ihr geeilt war. Vor Aufregung presste er sie an den Schultern zu Boden wie ein Ringer.
    – Ein pupillenloses Dämonengesicht, sagte sie lachend. Sie hörte selbst, wie hysterisch ihr Lachen klang. Sie mühte sich, Myrbäck und Holzapfel eine bessere Beschreibung zu liefern, aber das war so einfach nicht. Mit all dem Zeugs, das sie sich eingeworfen hatte.
    – Es sah aus wie ein Gesicht ohne Schatten. Wie auf einem Negativ. Eine Fratze mit einem Kussmund.
    – Mit einem Kussmund? Myrbäck fragte nach.
    – Und weit aufgerissenen Augen.
    Myrbäck und Holzapfel umrundeten das Haus, durchstreiften den Garten, weckten sogar Sven Classen und seine Frau mit einem Hämmern gegen die Tür des Wohnmobils, ein Dämon begegnete ihnen dabei jedoch nicht. Sie sah den Mienen der zwei Männer das Mitleid mit ihr an, das Misstrauen. Kein Wort nehmen die beiden mir ab, dachte sie.
    Später, als sie endlich zum Pinkeln gekommen war und das Rauschen der Wasserspülung verebbte, glaubte sie, ein seltsames Blubbern aus dem Abflussrohr unter den Bodendielen zu hören. Ich spinne wirklich, dachte sie. Ausgerechnet jetzt drehe ich durch. Wo es doch in ein paar Stunden um die Wurst gehen soll.

G ibt’s da was zu lachen? Machst du Fotos von mir? Ausgerechnet jetzt?
    – Ich bekomme dich nicht jeden Tag im weißen Anzug zu sehen, sagte sie. Mit Strohhut. Du siehst aus wie in einer Brausewerbung aus den Siebzigern.
    – Was weißt du von den Siebzigern?, fragte er sie. Er sah an sich herab. Ja, er steckte in einem weißen Anzug, den sie zweiter Hand gekauft hatten. Er war verlottert, aber er hatte Stil. Sie sah weniger schicklich aus. Mit ihren Jeanshosen und ihrer Jeansjacke. Eine Perücke trug sie auch dazu. Und eine Uhr, zu golden, zu groß für das Handgelenk der Sassie Linné.
    – Woher hast du die Uhr?
    – Sie gehört mir. Ja, mir gehören ein paar Dinge. Das kannst du dir nicht vorstellen, was?
    Myrbäck war nicht danach zu streiten. Er hatte sich, großzügig gerechnet, vier Stunden unruhigen Schlafs erkämpft. Was in der Nacht geschehen war, hatte ihn wach gehalten. Eine Fratze mit einem Kussmund, das waren ihre Worte gewesen. Ein Dämonengesicht. Wirres Zeugs, fand er, das kommt hoffentlich von ihren Tabletten. Trotzdem blieb er beunruhigt. Da umschwirrte ihn etwas, der Schatten einer Erinnerung vielleicht, der ihn umflog wie ein kleiner Vogel, zu schnell, ihn greifen zu können. Bevor er in den alten Ford Fiesta stieg, fragte er:
    – Was meintest du damit: Ein Gesicht ohne Nase?
    – Ich kann mich kaum erinnern.
    – Aber du hast es gesehen? Du bist dir sicher?
    – Ja, doch. Totsicher.
    Sassie folgte ihm in einem silberfarbenen Jeep Grand Cherokee, bis sie in Handen die Ausfahrt nahmen, Myrbäck sich absetzte und auf die Großtankstelle einfuhr. Im Rückspiegel sah er, wie sie vor der Einfahrt am Straßenrand stehen blieb.
    Er rollte auf die Dieselzapfsäulen zu. Sie lagen abseits der Benzinpumpen, und er musste warten, bis zwei Handwerker mit ihrem Transporter den Platz frei machten. Er stieg aus dem Wagen, öffnete die Hintertür und schraubte zwei Benzinkanister auf, die auf der Rückbank lagen. Augenblicklich füllte Benzindunst das Wageninnere. Er warf die Tür zu und trat vor die Zapfsäulen. Er öffnete den Tankdeckel, schob die Zapfpistole in den Füllstutzen, und während der Treibstoff durch den Schlauch rauschte, umkurvte er den Wagen, bettete auf jeden der Hinterreifen zwei Grillanzünder und sprühte sie mit Kettenöl ein. Weil er sich bei alldem mühte, sein Gesicht tief und beschattet zu halten, rutschte ihm immer wieder der Strohhut vor die Augen.
    Mit einem Klicken erstarb die Dieselpumpe. Er ließ die Zapfpistole weiter im Wagen hängen.
    Er hatte Mühe, das Feuerzeug aus seiner

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