Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
aus seiner Thermoskanne einen Becher füllte. Darjeeling, hatte er am Morgen gesagt, als sie alle lustlos vor dem Frühstück saßen und keiner von ihnen vor Aufregung einen Bissen herunterbekam. Sogar seine Schwester wurde misstrauisch. Seit wann trinkst du Tee?, hatte sie gefragt. Ich brauch was Warmes, um auf Betriebstemperatur zu kommen, hatte er geantwortet.
Göransson und Forss trafen ein. Es bedeutete, dass nun sämtliche Zufahrtswege mit brennenden Autos oder mit Krähenfüßen blockiert waren. Niemand würde noch über die Autobahn zu ihnen vorstoßen können. Forss sprach mit Holzapfel, gestikulierte wild, löste sich aus der Gruppe und schlenderte auf sie zu. Beide Hände in den Hosentaschen seiner Wächteruniform.
Der hat die Ruhe weg, dachte sie.
– Was macht denn unsere Carmen?, fragte er spöttisch, als er neben ihr zum Stehen kam. Er lächelte sie an.
– Nix. Ist was nicht in Ordnung?
– Doch, doch. Die Jungs wollen bloß wissen, ob du das heute hinkriegst. Er lehnte sich mit dem Ellenbogen an ihr Fenster. Sie war froh darüber, nicht zu ihm aufsehen zu müssen. In dem Jeep saß sie hoch wie auf einer Lok.
– Gleich geht’s los, sagte er. Seinen Haaren entwich der Tannennadelduft, den sie schon in seiner Wohnung gerochen hatte.
– Warum tragt ihr eigentlich Uniformen, du und Aku?
– Nur für den Fall.
– Welchen Fall?
– Dass die Fahrer so schlau sind, uns ihren Wagen ohne Heckmeck zu überlassen. Wenn man am Steuer eines Loomis-Transporters sitzt, dann macht sich eine passende Uniform einfach gut, findest du nicht?
– So etwas gibt’s? Dass die Fahrer einfach aufgeben?
– Nein. Aber vielleicht erlebt die Welt ja heut eine Premiere. Er wandte sich um und marschierte zu den anderen zurück.
Fünfzehn Uhr achtunddreißig.
Ein Wagen kam ihr entgegen. Er war klein und dunkelgrün und auf keinen Fall ein Geldlaster. Er wurde langsamer. Als er auf ihrer Höhe lag, bremste er noch einmal ab. Es war Juhani, der im Wagen saß. Jukki, der Kaninchentöter. Ihre Hände krallten sich in das Steuer.
Bevor sie sich von ihrem Schrecken erholen konnte, schob sich, umrahmt von hellgrünen, im Wind wiegenden Birkenblättern, ein größerer Wagen aus dem Wald heraus. Ein schlichter weißer Transporter, auf dessen Front mit schwarzen Buchstaben stand: Loomis.
Sie schaltete das Autoradio aus, riss sich ihre Perücke vom Kopf und zog die Gesichtsmaske über.
M it einem Klatschen landete der aktuelle Schadensbericht der Sektion VI der Folksam-Versicherung auf dem Schreibtisch des Sachbearbeiters Per Ulfung.
Pflichtlektüre, dachte der über seinem Frühstücksmüsli, wie doof. Die 278-seitige Broschüre aber verkündete nebst Belanglosem eine weit über dem Schnitt liegende, 73-prozentige Zunahme von Blech- und Lackschäden an Kfz-Hecks im gesamten Verkehrsgebiet Stockholm. Gespeist von elfjähriger Berufserfahrung im Spannungsfeld zwischen rascher Schadensabwicklung der ehrlichen Kunden und der zeitintensiven Prüfung auffälliger Unfälle sowie von einem nicht mehr ganz gesunden Misstrauen seinen Mitmenschen gegenüber, schloss er, dass der wilde Osten Europas den Sprung über die Ostsee in diesem Frühjahr endgültig getan hatte. Volkssport Versicherungsbetrug, das war bis dato ein kontinentales Brauchtum gewesen. Leute, die ihren Lebenserwerb als sogenannte Autobumser bestritten, gab es massenweise in Tirana, nicht aber in Tumba. Zwei Telefonate später war er mit dem Leiter des Projekts CIF in Verhandlungen, kurz darauf einig über die weitere Vorgehensweise.
Getragen von beginnenden Bandenbetrügereien im Vorjahr hatten die schwedischen Kfz-Versicherer nach Schweizer Vorbild eine Datenbank namens »Car Investigation Tool« (CIT) aufgebaut, in der nicht nur sämtliche in einen Schadensfall verwickelte Autos samt Marke und Typ registriert, sondern Zusammenhänge, Beziehungen, wiederkehrende Personen, Finanzdaten, Fahrgestell-Nummern aufgezeigt wurden. Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen den organisierten Be trug mit provozierten Verkehrsunfällen, bei denen die Täter über den abgerechneten Blechschaden möglichst viel Geld von der Assekuranz des vermeintlich schuldigen Fahrers zu erschlei chen versuchten. Oder Schäden zweimal anmeldeten und zweimal kassierten, indem sie einen Hagelschaden etwa erst beim alten, dann beim neuen Versicherer anzeigten, ohne ihn je zu beheben.
Basierend auf seiner strukturierten forensischen Datenanalyse förderte CIT zwei Namen ans Tageslicht, die
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