Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
immer die Beine breitzumachen. Sie sind wie die Straßenköter, denke ich manchmal. Es steckt in ihren Genen. Aber wir können es für uns nutzen. Neulich hat er gesagt: Nein, das Bad putzt er nicht. Ich bin ganz ruhig geblieben und habe ihm erklärt: Gut, dann wirst du nie wieder in meinem Bett liegen. Riesenstreit, er rennt raus, eine Stunde später kommt er mit Gummihandschuhen zurück und putzt wie der Teufel.
Ihr fiel ein, wer die Frau war. Lula hieß sie, und im Gemeinschaftshaus gab sie Karatestunden für Mädchen. Immer lief sie mit einem Kopftuch herum.
Was lauschst du hier?, fragte Lula plötzlich. Warum bist du nicht in der Schule?
Ich räume ab, antwortete sie. Ich arbeite in der Küche.
Dann bring uns noch den Tee, sagte die Jüngere. Sie sah hübsch aus.
Sie zog ab, balancierte die Teller mit dem Besteck quer durch den Raum, ging in die Küche und stellte sie neben der Spüle ab. Die Gläser stapelte sie in ein Holzgestell, von dort aus würden sie in den Abwasch wandern. Wer so jung war wie sie, musste zum Glück nicht das schmutzige Geschirr waschen. Sie ekelte sich vor fettigen Abwaschfingern. Das Wasser perlte von ihnen ab, und sie rochen nach Butter.
Sieh zu, dass die Tische sauber sind. Mehr hatte man ihr nicht gesagt an ihrem ersten Tag. Das war ihr Auftrag im Mondfischer.
Der Mondfischer war ein alter Militärschuppen mit sechs Tischen und einer Bar aus Pflastersteinen. Sie und Lilja aßen jetzt hier zu Mittag, weil ihr Vater es nicht schaffte, sich um das Einkaufen zu kümmern, und kochen konnte er sowieso nicht. Er trinkt, das reicht ihm, hatte Gunilla einmal gesagt. Gunilla kannte sich eben mit Säufern aus.
Dafür hat er uns in der ersten Frostnacht auf einem Schlitten an den Garnisonsgraben zerren wollen, weil er sich einbildet, es liege Eis auf dem Wasser. Er ist vernarrt in Eis und Schnee und Frost. Erst wenn ihm die Eiszapfen aus der Nase hängen, wird ihm das Herz warm. Hat Gunilla gesagt. Gunilla kannte sich eben mit den Leuten aus dem Norden aus.
Am besten im Mondfischer gefiel ihr der Ofen. Er stand an der Stirnseite und war in der Schmiede aus alten Fässern, Eisenrohren, Dampfkesseln zusammengeschweißt worden. Er glich einem weit geöffneten Walmaul voller Glut, fand sie. Ab und zu schob jemand ein Brett nach, einen Balken, eine Apfelkiste. Dann war die Hitze quer durch den ganzen Raum zu spüren. Jetzt saß Lilja auf einer Bank vor dem Ofen, so nah es bei der Hitze eben ging.
In ihrer Hand hielt sie die Katze ohne Ohren. Sie trug das Stofftier immer und überall mit sich, auch am Vormittag, als sie beide im Kaufmannsladen waren. Das gehörte jetzt auch zu ihren Aufgaben: Honigkuchen und Ketchup kaufen, Rübenaufstrich und ein Glas Erdnussbutter, eine Tüte Streuzucker, zwei Pakete Weizenmehl, vierundsechzig Eier für den Pfannkuchenteig. Alles ohne Bezahlen. Sie ließ anschreiben. Und die Eier brachte zum Glück der Laufbursche.
Sie stellte zwei saubere Tassen auf ihr Tablett und füllte sie mit schwarzem Johannisbeertee auf. Auf ihrem Weg zu den beiden Frauen sah sie, dass an dem Tisch in der Ecke des Raumes zwei leere Biergläser standen. Ein Mann saß dort und las in einer Zeitung.
Während sie die Gläser abräumte, sah sie seine schmutzigen Fingernägel. Vor ihm auf dem Teller lagen ein Stück roter Kochwurst und eine Brotscheibe. Er ließ die Zeitung sinken und schaute sie an. Er war der Mann aus dem Fotogeschäft.
Als sie in der Küche die sauberen Untertassen und die Messer und Gabeln in ihre Fächer räumte, fingen ihre Hände vor Aufregung an zu zittern.
Sie holte ein paar Mal tief Luft und ging in die Gaststube zurück. Der Mann war verschwunden. Auf seinem Tisch lag ein Kronenstück. Sie ließ es liegen. Sie zog ihre Winterjacke über und sprang vor die Tür.
Sie erschrak über die plötzliche Kälte und rannte quer über den kahlen Exerzierplatz, an den Pferdeställen und Waffenkammern vorbei, bis sie vor Oves Wohnwagen ankam. Er war nicht da, aber sie wusste, wo sie zu suchen hatte. Auf der Rückseite des Wohnwagens, wo Ove sein Werkzeug unter gedrechselten Geländerstäben und Baubeschlägen aus Messing versteckte, fand sie seine Hufzange. Blauschwarz, schwer und kalt wie Eis lag sie in ihrer Hand. Sie war so lang, dass sie kaum in die Tasche ihres Mantels passte.
Vom Totempfahl aus begann sie ihre Suche. Zuerst lief sie die äußeren Verteidigungsanlagen ab, all die Mauern mit ihren Schießscharten, hielt Ausschau von den Wällen hinter der Arche
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