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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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Ansatz sprang plötzlich die Schwarzhaarige los. Sie rannte direkt auf Myrbäck zu. Ihre Frisur wippte wie bei einem galoppierenden Pony.
    Sassie reagierte am schnellsten. Mit Riesensätzen preschte sie durch hüfthohes Farndickicht und steuerte die Eckmauer des Getreidespeichers an. Als Myrbäck an Fahrt gewann und auch er sich endlich auf die Schattenseite des Silos warf, hatte sie bereits eine Steigleiter erklommen und ein paar Meter auf ihr zurückgelegt. Von oben schrie sie ihm etwas zu, aber er verstand kein Wort. In seinen Ohren rauschte das Blut, als er die unterste Sprosse der Leiter nahm und sich an ihr aufwärtszog.
    Auf halber Höhe unterbrach er seinen Aufstieg und blickte sich um.
    Die Hexe war hinter ihm her, auch sie stand schon mit beiden Füßen auf der Leiter. Myrbäck riss sich weiter hoch, getrieben vom Knacken in der Holzwand und der Furcht, all das Gewicht könne die uralte Leiter aus ihrer Verankerung in der Bretterwand reißen.
    Die letzte Sprosse nahm er so entkräftet, so atemlos, dass er klatschend auf der Brust aufschlug und benommen liegen blieb. Als er den Kopf drehte, sah er in die schreckgeweiteten Augen der Frau mit der Pagenfrisur.
    Mit ihrem Oberkörper hatte sie sich schon auf das Dach gewuchtet und rückte auf den Knien ein Stück an ihn heran, so nah, dass er ihren bitteren Schweiß roch. Es gelang ihr noch, das eine Bein über die Traufe zu ziehen, da brüllte sie einen Schmerzensschrei in sein Ohr hinein, durchdringend und mächtig wie ein Orgelton.
    Knut Giovanni Myrbäck verstand die Welt nicht mehr.

S chöne Sauerei.
    Der Saum des Kleides klebte an ihren Oberschenkeln, ihr Höschen war nass, kalt wie ein Fieberumschlag. Ihr Schoß brannte, es stach in ihr.
    Bin ich in Ohnmacht versunken? Habe ich mich angepinkelt, mich und mein schönes Sommerkleid, gelbe Tupfer auf weißem Grund?
    Mühsam ruckelte sie ihre tauben Hände unterm Leib hervor, zog sie hoch vor die Brust, bis sie das Blut vor Augen hatte, das sich in feinen Krusten von ihren Fingern schälte. Hautfetzen standen struppig aus dem geronnenen Blut hervor, zerriebene blaue Fasern, Reste des Bootsseils, klebten in der rotbraunen Masse. An den Gelenken sickerte frisches Blut nach. Unterhalb ihres linken Daumens sah es aus, als habe das scharfe Blech des Schneeschiebers ihr Fleisch bis auf die Sehnen zerschnitten. Es wird Narben geben, und alle Welt wird sich fragen, was die Olofsson da mit ihren Pulsadern hat anstellen wollen, sich aber kopfschüttelnd sagen, dass sie nicht der Typ sei, sich das Leben zu nehmen.
    Und sie haben verdammt Recht.
    Ich werde diesem Mann, der mich zum Verrecken abgelegt hat, die Eingeweide stückweise aus dem Leibe reißen. Den breiten Mund werde ich ihm zerschlagen. Ich schwör’s.
    Eine ganze Nacht habe ich damit verbracht, meine Fesseln zu lösen. Jetzt ist ein neuer Tag.
    Das Tor des Schuppens aufzubrechen, werde ich nicht schaffen. Meine Arme zittern vor Schwäche bei der kleinsten Bewegung. Ich will glücklichfroh bis ans Ende aller Tage sein, wenn es mir nur gelingt, die Fesseln an meinen Füßen zu lösen.
    Sie robbte sich zu einem Bund vergessener Angeln, die zwischen Eimern gegen die Wand des Schuppens lehnten. Mit den Zähnen zerbiss sie eine der Angelschnüre. Den frei gewordenen Haken presste sie zwischen Daumen und Zeigefinger und begann, das Seil um ihre Unterschenkel zu zerschaben, Faden um Faden voneinander zu trennen. Als sie die Beine freibekam, hatten sich vor den Fenstern des Schuppens die Schatten des Nachmittags gesenkt.
    Sie zog sich an einem der splittrigen und ergrauten Stützbalken des Schuppens hoch, tat zwei wacklige Schritte wie auf Stelzen, griff zwischen dicke Vorhänge aus Spinnweben nach dem Stiel einer Harke und stieß ihre Zinken quer durch das Fensterglas.

R ühr dich nicht!
    Sassie Linné stand über der Frau, die wimmernd auf dem Dach des Silos vor ihr lag. Den Arm hielt sie zum Schlag erhoben.
    Die Schwarzhaarige umklammerte ihren rechten Unterschenkel und sah schmerzverzerrt auf. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hindurch, und als sie die Hände löste, waren in ihrer Haut zwei kleine Löcher zu sehen.
    – Was ist das?, fragte Myrbäck, obwohl er eine Antwort nicht brauchte. Eine Kugel hatte ihr Bein unterhalb des Knies durchschlagen. Der Blutschwall, der sich auf einmal aus dem einen Loch ergoss, verebbte schnell. Aus den Augen der Frau spritzten ein paar Tränen.
    – Ein Tuch, ein Lappen, irgendwas. Helft mir beim Abbinden, stöhnte sie in

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