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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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wieder einzuschlafen. Ihr ging die zerschlagene Nase der Frau nicht aus dem Sinn. Sie lehnte sich gegen Myrbäcks Schulter. Er sah weiter starr aus dem Fenster. Was sieht er da noch?, fragte sie sich. Von Zeit zu Zeit fiel das Licht der Scheinwerfer auf ein Schwimmbecken, auf Kinderräder oder eine Häuserwand zwischen den Schatten. Sie legte ihren Arm um seinen Nacken und zog ihn zu sich.
    Endlich drehte er den Kopf. Ungeschickt küsste er sie auf eine Stelle unterhalb ihres Auges. Überrumpelt, dachte sie.
    Später, während sie im Dunkeln zur Anlegestelle tapsten, nahm er ihre Hand. Auf der Fähre saßen sie zwischen anderen Passagieren und sahen schweigend durch die Kajütenfenster auf die Positionsleuchten der Containerschiffe, die wie ein leuchtendes Perlenband vor dem äußersten Schärengürtel lagen, um früh am Morgen den Hafen anzulaufen.
    Es war Mitternacht, als sie vor dem Ferienhaus der Lövgrens hielten. Im Flur und im Küchenfenster brannte Licht. Auf der Veranda stand eine Figur. Sie trug ein dekolletiertes Baumwollkleid ohne Ärmel und Sandaletten mit hohen Absätzen. Auch gegen das Licht konnte Sassie sehen, dass Heidi sich fein gemacht hatte.

M yrbäck stand auf und schaltete das Radio an, das an einer Schnur unter der Decke hing. Entweder waren atmosphäri sche Störungen schuld oder schwache Batterien. Nichts als Rauschen und Knistern war zu hören.
    – Ein kaputtes Transistorradio, hörte er Sassie hinter seinem Rücken sagen. Sie saß am Tisch mit der hellblauen Wachstuchdecke, eingerahmt von Jan Holzapfel und Heidi Olofsson, und las von einem Zettel ab.
    – Vier Fernseher, drei DVD-Abspielgeräte, diverse Fernbedienungen. Sechs Mobiltelefone. Ein Tischventilator, ein Tauchsieder. Konservengläser mit Pesto. Nagelneue Gummistiefel, Größe 46. Schwimmwesten jeder Größe. Sie blickte in die Runde und machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie fortfuhr. Gesellschaftsspiele. Sonnenbrillen, auch eine Gleitsichtbrille der Marke Gucci. Eine Xbox 360 und die Fahranleitung für einen Mazda MX-5 2.0 Roadster Coupé automatic.
    – Wer nimmt euch das Zeugs ab? Heidi schaltete sich ein. Sie war aufgestanden, um auf der Anrichte Ordnung zu schaffen. Mit einem feuchten Lappen wischte sie über das altersrissige Holz.
    – Niemand, antwortete Holzapfel. Es war die falsche Fahranleitung. Aber wir behalten sie trotzdem. Man weiß ja nie.
    Heidi schlug ihnen vor, von den Erlösen ihres Diebesguts, so sie denn jemals in der Kasse klingeln sollten, einen Staubsauger anzuschaffen.
    – Es muss hier doch nicht aussehen wie im Schweinestall, sagte sie. Und überhaupt. Ich führe kein Hotel für euch.
    Jan setzte räuspernd zu einer Antwort an, doch sie schnitt ihn ab.
    – Wenn dir was nicht passt, lieber Bruder, da ist die Tür! Und auch euch beide werde ich nicht daran hindern, von hier zu verschwinden. Ihr habt meine Wohnung ruiniert! Und ich habe euch auch noch hier einquartiert – drei Leute, von denen die Lövgrens nicht wissen und nie erfahren dürfen. Die Nachbarn werden Pia früh genug stecken, dass ich hier ein Sommercamp für meine Sippschaft eröffnet habe.
    Niemand wagte einen Mucks.
    Myrbäck stand schweigend vor dem Fenster und sah hinaus. Im dunkelgrünen Schatten leuchteten weiß die runden Tische des Gartens, auf den Tischtüchern standen noch die leeren Bierflaschen vom Abend. Erleichtert verfolgte er, wie Heidi eine Vase verwelkter Blumen aus dem Zimmer trug. Er hatte diesen Ausbruch von ihr schon erwartet.
    – Eure schlimmsten Wutanfälle?, fragte Holzapfel nach ein paar Minuten.
    – Wutanfälle? Sassie fragte begriffsstutzig nach. Sie blätterte in einer Illustrierten.
    – Ja. Wut. Anfälle. Hat doch jeder mal. Also. Wann wart ihr wütend wie nie in eurem Leben?
    – Du schon wieder, stöhnte sie unlustig.
    Myrbäck teilte ihren Widerwillen. Nicht weil er wusste, dass die Wut in seinem Leben stets nur in zaghafter Gestalt Besitz von ihm ergriffen hatte. Sondern weil es Holzapfel war, der die Frage stellte. Trotzdem antwortete er:
    – Da muss ich nicht lange nachdenken. Mein fürchterlichster Wutanfall bist du. Wie kannst ausgerechnet du mich so was fragen?
    Holzapfel nickte. Er sah schuldbewusst aus, immerhin.
    – Und der Herr selbst? Myrbäck fragte angriffslustig.
    – Mir fällt kein Wutanfall ein. Deswegen frage ich ja. Ich glaube, ich bin lammfromm.
    – Ich weiß es besser, sagte Heidi. Sie war in die Küche zurückgekehrt. Du kannst dich bloß nicht mehr erinnern. Die ganze

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