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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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tranchieren.
    Er fuhr die Klinge des Teppichschneiders aus. Seine Augen waren plötzlich hart, wachsam. Im Geiste sah Myrbäck sein eigenes Blut spritzen, er hörte seine eigenen Schreie.
    – Das hat er schon öfter mal mit fremden Nasen gemacht. Es bereitet ihm Vergnügen. Krank, oder?
    – Was will er von uns?, fragte Myrbäck schließlich.
    – Erkki will einen neuen Dodge, gleiches Modell, die gleichen Extras. Er bittet um Schadensersatz für eine CD-Sammlung mit ausgewählter finnischer Musik. Für die Expressreinigung eines Anzugs. Für die Pflaster an seiner Hand. Jukki zog einen Zettel aus einer Hosentasche, faltete ihn auseinander und las: 750 000 Kronen.
    – Huhu. Und was, wenn nicht? Holzapfels Stimme klang künstlich amüsiert. Sehen wir reich aus? Bin ich der Chef von Ikea?
    – Nein. Ihr seht aus wie Kaninchen. Kaninchen, denen man die Messerklinge durchs Fell zieht. Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn du den Kopf mit den süßen Puschelohren abschneidest? Hörst du das saugende Geräusch der Knorpel, wenn du seine Hüpfbeine vom Rumpf löst? Genauso wird es euch ergehen.
    – Der Typ ist gefährlich. Er hat nicht alle Tassen im Schrank, meinte Holzapfel. Er sprach nicht einmal leise, aber auf Deutsch.
    – Halt’s Maul, schrie Jukki, ebenfalls auf Deutsch. Er sprang auf, trat um den Tisch und schlug dem überraschten Holzapfel auf die Brust. Es sah nicht sehr gewaltsam aus, Jan aber kippte um, so plötzlich, dass Knut nicht dazu kam, ihn aufzufangen. Solarplexus, dachte er.
    Holzapfel lag platt auf dem Boden. Sein Overall war beim Sturz nach oben gerutscht und legte ein Paar bleicher und haariger Beine frei. Seine Brille war davongeflogen, seine Frisur durcheinandergeraten.
    – Das ist nicht fair!, rief Sassie.
    Es war ein kurzer Satz, und er klang seltsam kindlich in seinen Ohren, aber Myrbäck spürte, dass in ihrer Stimme unkontrollierte Wut aufstieg. Gleicht dreht sie durch, dachte er. Er griff nach ihrem Arm.
    – Fick dich. Fick dich, Tussi, sagte der Mann. Er sagte es ohne jede Betonung und ließ die Klinge seines Teppichschneiders einfahren.
    – 750000 Kronen also. Plus 250000 Schmerzensgeld.
    – Wie sollen wir das denn schaffen?, fragte Myrbäck empört.
    – Euer Problem. Ich weiß aber, dass ihr einige Aufträge habt in nächster Zeit. Lukrative Aufträge. Ich weiß es aus sicherer Quelle.
    – Was weißt du? Aus welcher Quelle? Myrbäck konnte sein Staunen nicht verbergen.
    – Macht euch keine Gedanken, dafür taugen eure Köpfe nicht. Macht nur immer schön, was Erkki und Jukki von euch verlangen.
    Holzapfel rührte sich mit einem Stöhnen auf den Holzdielen. Er rappelte sich auf und hielt sich die Brust. Aus seiner Nase rann ein dicker Tropfen Blut und fiel zu Boden.
    Juhani setzte die leere Bierflasche vor sich ab, streckte sich, stand auf, verließ die Küche und zog die Tür hinter sich zu. Sie hörten, wie er den Schlüssel im Schloss drehte.
    Holzapfel wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Sassie nahm die Schale mit den Sonnenblumenkernen vom Tisch und ließ ihren Inhalt mit angeekelter Miene in den Mülleimer rieseln.
    Myrbäck schlug sich an die Stirn. Erst mit der linken, dann mit der rechten Hand. Er hatte das Gefühl, sich selbst bestrafen zu müssen. Er war nicht wachsam gewesen, dabei hatte es Warnzeichen gegeben. Untätig sah er Holzapfel dabei zu, wie er zur Tür humpelte und am Türgriff rüttelte. Vor dem Haus wurde ein Automotor angelassen. Als das Rauschen in der Ferne verklang, blickte Sassie ihn fassungslos an.
    – Ihr seid mir zwei echte Glückskäse, sagte sie und ging, um das Fenster zu öffnen.

M ein armer Kopf. Er kippt. Er schwankt, und er kreiselt. So war es in manchen Nächten meiner Kindheit: Wenn ich in den Schlaf fiel, nicht mehr wach genug, fliehen zu können vor den Haufen dunkler Materie, die heranrollten und wie Lawinen aus schmutzigem Schnee über meiner Brust zusammenschlugen und mir den Atem nahmen. Später saß ich auf der Rückbank eines Autos, und der Junge neben mir, das war wohl Jan, und es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen durch sein offenes Fenster in den Fahrtwind kotzen würde, weil alle Autos, die ihre Eltern den persischen Autohändlern auf dem Gebrauchtmarkt in Hamburg-Billstedt abkauften, immerzu nach feuchten Fußmatten stanken und nach Aschenbecher, aber das, sie begriff es mit Überraschung, ist doch furchtbar lange her.
    Rauchte hier jemand? Und wo war sie?
    Es gelang ihr nicht, die Augen zu öffnen.

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