Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Kopf. »Nein. Alles, was für euch relevant sein könnte, habe ich dir schon erzählt. Die Dinge, die ich über Ebbas Familie herausgefunden habe, liegen länger zurück und sind wahrscheinlich vor allem für sie interessant.«
»Du kannst mir das Material trotzdem zeigen, aber nicht heute Abend. Jetzt will ich es mir nur noch gemütlich machen.« Er rückte näher an Erica heran, nahm sie in den Arm und legte den Kopf an ihre Schulter. »Mein Gott, haben diese Kerle einen harten Job. Das sieht ja lebensgefährlich aus. Zum Glück bin ich kein Krabbenfischer.«
»Stimmt, Liebster, dafür bin ich wirklich jeden Tag dankbar. Zum Glück bist du kein Krabbenfischer.« Lachend küsste sie ihn auf die Stirn.
Seit dem Unfall spürte Leon manchmal ein Singen in den Gelenken. Eine Art schmerzende Vorahnung. Im Moment nahm er das Ziehen auch wahr, ähnlich wie die drückende Hitze vor einem kräftigen Gewitter.
Ia war es gewohnt, seine Stimmungen zu erkennen. Normalerweise keifte sie herum, wenn er in Sorgen und Grübeleien versank, aber diesmal nicht. Stattdessen gingen sie sich aus dem Weg. Bewegten sich durchs Haus, ohne sich zu begegnen.
In gewisser Weise stachelte ihn das an. Sein größter Feind war immer der Überdruss gewesen. Als er klein war, hatte sein Vater über Leons Unfähigkeit gelacht, stillzusitzen. Er suchte ständig die Herausforderung und testete Grenzen aus. Seine Mutter hatte sich über die vielen Schürfwunden und Knochenbrüche aufgeregt, aber sein Vater war stolz auf ihn gewesen.
Nach jenem Osterfest hatte er seinen Vater nicht wiedergesehen, der ins Ausland gegangen war, ohne sich zu verabschieden. Die Jahre vergingen, und er war vollauf damit beschäftigt, das Leben zu genießen. Sein Vater war so großzügig gewesen, ihm Geld zu überweisen, sobald das Konto leer war. Nie machte er ihm Vorwürfe oder zeigte ihm Grenzen auf, sondern ließ Leon vollkommene Freiheit.
Am Ende flog Leon zu nah an die Sonne heran, genau wie er es immer vorhergesehen hatte. Seine Eltern waren inzwischen gestorben. Sie mussten nicht mehr erleben, wie der Unfall auf der kurvigen Bergstraße ihm seine Abenteuerlust nahm und ihn zum Krüppel machte. Seinem Vater blieb es erspart, ihn in Fesseln zu sehen.
Ia und er hatten gemeinsam eine weite Reise zurückgelegt, aber nun näherten sie sich dem entscheidenden Augenblick. Es fehlte nur noch ein kleiner Funken, der alles in Brand steckte. Er hatte das nie jemand anderem überlassen wollen. Es war seine Aufgabe.
Leon lauschte. Es war vollkommen still im Haus. Ia war wahrscheinlich schon ins Bett gegangen. Er nahm sein Handy vom Tisch und legte es sich auf den Schoß. Er rollte auf die Terrasse hinaus und rief sie, ohne zu zögern, der Reihe nach an.
Dann legte er die Hände in den Schoß und ließ den Blick über Fjällbacka schweifen. Abends im Dunkeln wurde der Ort von unzähligen Lampen beleuchtet, wie eine riesige glitzernde Taverne. Er blickte übers Wasser nach Valö. Im alten Ferienheim brannte kein Licht.
Friedhof Lovö 1933
S eit Carins Tod waren zwei Jahre vergangen, aber Hermann hatte Dagmar noch immer nicht abgeholt. Treu wie ein Hund hatte sie gewartet, während Tage zu Wochen, Monaten und Jahren wurden.
Sie las immer noch sorgfältig die Zeitungen. Hermann war in Deutschland Minister geworden. Auf den Fotos sah er so schick in seiner Uniform aus. Ein mächtiger Mann, der wichtig für diesen Hitler war. Solange er in Deutschland Karriere machte, konnte Dagmar verstehen, dass er sie warten ließ, aber die Zeitungen berichteten, er sei wieder in Schweden. Sie beschloss, ihm das Leben etwas zu erleichtern. Er war schließlich ein vielbeschäftigter Mann, und wenn er nicht zu ihr kommen konnte, musste sie eben zu ihm kommen. Als Gattin eines hohen Politikers würde sie sich anpassen und wahrscheinlich nach Deutschland ziehen müssen. Sie hatte inzwischen eingesehen, dass ihre Tochter sie nicht begleiten konnte. Es ging doch nicht an, dass ein Mann in Hermanns Position eine uneheliche Tochter hatte. Laura war inzwischen dreizehn und würde es schon allein schaffen.
Da in den Zeitungen nicht stand, wo Hermann wohnte, wusste Dagmar nicht, wie sie ihn finden sollte. Sie fuhr zu der alten Adresse in der Odengata, aber dort machte ihr ein vollkommen Unbekannter die Tür auf und sagte, das Ehepaar Göring wohne schon seit Jahren nicht mehr dort. Unschlüssig blieb sie vor dem Hauseingang stehen, bis ihr der Friedhof einfiel, auf dem Carin begraben war. Vielleicht
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