Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
war Hermann bei seiner toten Frau. Sie hatte gelesen, dass der Friedhof Lovö hieß. Er lag irgendwo außerhalb von Stockholm. Nach einigem Suchen fand sie einen Bus, der sie fast bis ans Ziel brachte.
Nun hockte sie vor dem Grabstein und starrte Carins Namen und das eingravierte Hakenkreuz darunter an. Goldgelbes Herbstlaub wirbelte um sie herum, aber sie spürte den kalten Oktoberwind kaum. Sie hatte geglaubt, ihr Hass würde sich nach Carins Tod legen, aber als sie dort in ihrem abgetragenen Mantel saß, kamen ihr all die entbehrungsreichen Jahre in den Sinn, und der alte Zorn stieg wieder in ihr auf.
Hastig stand sie auf und trat ein paar Schritte zurück. Dann nahm sie Anlauf und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Grabstein. Ein heftiger Schmerz schoss von der Schulter bis in die Fingerspitzen, aber der Stein rührte sich nicht von der Stelle. Frustriert ließ sie ihre Wut an den Blumen aus, die das Grab schmückten, und riss die Pflanzen mit den Wurzeln aus. Schließlich trat sie mit voller Wucht gegen das grüne Hakenkreuz aus Eisen, das neben dem Stein stand. Es gab nach und fiel ins Gras. Sie schleifte es so weit wie möglich vom Grabstein weg. Zufrieden betrachtete sie die Verwüstung, als sie eine Hand auf der Schulter spürte.
»Was um alles in der Welt machen Sie denn da?« Ein großer kräftiger Mann stand neben ihr.
Sie lächelte glücklich. »Ich bin die zukünftige Frau Göring. Ich weiß, dass Carin in Hermanns Augen kein so schönes Grab verdient hat, aber nun habe ich alles in Ordnung gebracht und muss zu ihm.«
Dagmar lächelte weiter, aber der Mann sah sie ärgerlich an. Kopfschüttelnd brummte er vor sich hin, packte ihren Arm und schleifte sie zur Kirche.
Als eine Stunde später die Polizei eintraf, lächelte Dagmar immer noch.
M anchmal erschien ihr das Reihenhaus im Falkeliden viel zu klein. Dan wollte übers Wochenende mit den Kindern zu seiner Schwester fahren, und während der hysterischen Packerei am Vormittag hatte Anna das Gefühl gehabt, überall im Weg zu stehen. Außerdem hatte sie mehrmals zur Tankstelle rennen müssen, um Süßigkeiten, Getränke, Obst und Comics für die Fahrt zu kaufen.
»Habt ihr jetzt alles?« Anna betrachtete den Berg von Reisetaschen und Gegenständen im Flur.
Dan lief immer wieder zum Auto, um das Gepäck zu verstauen. Sie sah jetzt schon, dass nicht alles hineinpassen würde, aber das war sein Problem. Er hatte zu den Kindern gesagt, sie sollten ihre Sachen selbst packen und dürften auch allein entscheiden, was sie mitnehmen wollten.
»Willst du wirklich nicht mitkommen? Nach allem, was du gestern erlebt hast, lasse ich dich hier nicht gern allein.«
»Danke, aber mach dir keine Sorgen. Ich finde es sogar ganz schön, ein paar Tage allein zu sein.« Sie warf Dan einen flehentlichen Blick zu, damit er nicht gekränkt reagierte.
Er nickte und legte die Arme um sie.
»Ich kann dich gut verstehen, Liebling. Du brauchst mir nichts zu erklären. Mach dir ein paar schöne Tage und denk nur an dich selbst. Iss etwas Schönes und geh in Ruhe schwimmen oder shoppen. Tu einfach, worauf du Lust hast. Hauptsache, das Haus steht noch, wenn ich zurückkomme.« Er nahm sie ein letztes Mal in den Arm, ließ sie los und packte weiter.
Anna schnürte es die Kehle zu. Beinahe hätte sie gesagt, sie habe ihre Meinung geändert, doch dann verkniff sie es sich. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken, und dabei ging es nicht nur um den Schreck von gestern. Obwohl das Leben vor ihr lag, konnte sie es nicht lassen, ständig zurückzublicken. Sie musste sich endlich entscheiden. Wie konnte sie die Vergangenheit abschütteln und wieder nach vorne schauen?
»Warum kommst du nicht mit, Mama?« Emma zupfte sie am Ärmel.
Anna hockte sich neben sie. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr ihre Tochter gewachsen war. Sie war im Frühjahr und Sommer in die Höhe geschossen und ein großes Mädchen geworden.
»Ich habe dir ja erzählt, dass ich hier eine Menge zu tun habe.«
»Aber wir wollen doch nach Liseberg!« Emma sah Anna an, als ob ihre Mutter nicht ganz richtig im Kopf wäre, und in der Vorstellungswelt einer Achtjährigen war man das wohl auch nicht, wenn man sich den Besuch eines Vergnügungsparks entgehen ließ.
»Nächstes Mal komme ich mit, aber du weißt ja, wie feige ich bin. Ich würde mich sowieso nirgendwo reintrauen. Du bist viel mutiger als ich.«
»Ja, das stimmt!« Emma streckte sich voller Stolz. »Ich werde mit einer Achterbahn fahren, in die
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