Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
wenn wir uns darum kümmern.« Er nahm sie in den Arm.
Erica nickte und ging widerwillig zum Auto. Er sah ihr hinterher, griff zum Telefon und rief Victor an. Nach achtmaligem Klingeln ging die Mailbox an.
»Bei der Küstenwache meldet sich niemand. Typisch. Und unser Boot ist draußen auf Valö.«
An der Tür räusperte sich jemand.
»Ich kann leider nicht losfahren. Der Motor springt nicht an.«
Patrik sah seine Frau skeptisch an. »Das ist ja merkwürdig. Vielleicht bringst du sie nach Hause, Gösta, dann kann ich hier in der Zwischenzeit ein paar Dinge zu Ende bringen. Wir müssen warten, bis wir ein Boot haben.«
»Okay«, erwiderte Gösta, ohne Erica anzusehen.
»Gut, dann treffen wir uns nachher am Hafen. Versuchst du es weiter bei Victor?«
»Klar.«
Wieder summte sein Handy, und Patrik guckte automatisch auf das Display. Kjell Ringholm. Nun konnte er auch ans Telefon gehen.
»Gut, dann wissen alle, was sie zu tun haben.« Er blickte den anderen hinterher, als er den Anruf entgegennahm. »Hallo, hier ist Hedström«, seufzte er. Er mochte Kjell, aber im Moment hatte er wirklich keine Zeit für Journalisten.
Valö 1972
A nnelie hatte sie von Anfang an gehasst. Claes auch. In ihren Augen war sie zu nichts zu gebrauchen, jedenfalls nicht im Vergleich zu ihrer Mutter, die eine Heilige gewesen sein musste. So klang es nämlich, wenn Rune und seine Kinder von ihr sprachen.
Sie selbst hatte viel über das Leben gelernt. Die wichtigste Lektion war, dass ihre Mutter doch nicht immer recht hatte. Rune zu heiraten war der größte Fehler ihres Lebens gewesen, aber Inez sah keinen Ausweg, denn sie erwartete ein Kind von ihm.
Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und widmete sich wieder dem Küchenfußboden. Rune stellte hohe Ansprüche, und bis zur Eröffnung des Internats sollte alles blitzblank sein. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. »Mein Ruf steht auf dem Spiel«, sagte er immer und erteilte ihr weitere Aufträge. Trotz des wachsenden Bauchs schuftete sie von früh bis spät. Sie fiel fast um vor Müdigkeit.
Plötzlich stand er einfach da. Als sein Schatten auf sie fiel, zuckte sie zusammen.
»Oh, entschuldige, habe ich dich erschreckt?«, fragte er mit einer Stimme, die ihr immer einen Schauer über den Rücken jagte.
Hass schlug ihr entgegen. Wie üblich verkrampfte sie sich, bis sie kaum noch Luft bekam. Nie gab es Beweise. Sie konnte Rune nichts erzählen, er hätte ihr sowieso nicht geglaubt. Aussage würde gegen Aussage stehen, und sie gab sich nicht der Illusion hin, dass er auf ihrer Seite wäre.
»Du hast da einen Fleck übersehen.« Claes zeigte auf einen Punkt hinter ihr. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte sich Inez um und schrubbte die Stelle, auf die er zeigte. Dann hörte sie ein Scheppern und bekam nasse Füße.
»Tut mir leid, ich muss gegen den Eimer gestoßen sein«, sagte Claes in einem bedauernden Tonfall, der nicht mit seinem Gesichtsausdruck übereinstimmte.
Inez sah ihn einfach an. Mit jedem Tag, jeder Unverschämtheit und jeder Gemeinheit steigerte sich ihre Wut.
»Ich kann dir helfen.«
Johan, Runes jüngerer Sohn. Er war erst sieben Jahre alt, hatte kluge, warme Augen. Von Anfang an war er auf sie zugegangen. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er seine kleine Hand in ihre geschoben.
Mit einem ängstlichen Blick zu seinem großen Bruder kniete er sich neben Inez, nahm ihr den Lappen aus der Hand und begann, das Wasser aufzuwischen.
»Jetzt wirst du auch nass.« Gerührt betrachtete sie seinen gebeugten Nacken und das Haar, das ihm vors Gesicht fiel.
»Das macht nichts.« Er wischte weiter.
Claes stand mit verschränkten Armen hinter ihnen. Es blitzte in seinen Augen, doch seinen kleinen Bruder wagte er nicht zu schikanieren.
»Memme.« Er ging davon.
Inez atmete auf. Eigentlich war es lächerlich. Claes war erst siebzehn. Sie war zwar nicht viel älter, aber trotz allem seine Stiefmutter. Außerdem erwartete sie ein Kind, das eine Schwester oder ein Bruder von ihm sein würde. Vor so einem Bürschchen brauchte sie eigentlich keine Angst zu haben, doch wenn er ihr zu nahe kam, bekam sie automatisch eine Gänsehaut. Sie konnte es sich zwar nicht erklären, aber instinktiv ahnte sie, dass sie sich besser von ihm fernhielt und ihn nicht provozierte.
Wie es wohl werden würde, wenn bald die Schüler eintrafen? Herrschte im Haus dann eine weniger gedrückte Atmosphäre, wenn überall Jungs herumliefen, deren Stimmen jeden Raum ausfüllten? Sie
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