Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
wahrscheinlich Glück gehabt. Berit und Sture haben mir immer das Gefühl gegeben, ihre Tochter zu sein.«
»Einige Jungs sind damals über die Osterferien in der Schule geblieben. Hatten Sie jemals Kontakt zu einem von ihnen?«
»Nein, wieso sollte ich?« In dem schmalen Gesicht wirkten Ebbas Augen riesig.
»Bevor wir uns entschlossen, hierherzuziehen, hatten wir nichts mit dem Haus zu tun«, sagte Mårten. »Ebba hat das Haus zwar geerbt, als ihre Eltern für tot erklärt wurden, aber seitdem hat es mehrere Mieterwechsel gegeben. Zeitweise stand es auch leer. Wahrscheinlich macht die Renovierung deshalb so viel Arbeit, weil sich niemand für das Haus verantwortlich gefühlt hat. Es wurde immer nur das Nötigste ausgebessert.«
»Es hatte vermutlich seinen Sinn, dass wir hierhergekommen sind und den Fußboden aufgerissen haben«, sagte Ebba. »Alles hat einen Sinn.«
»Wirklich?«, fragte Mårten. »Ist das wirklich so?«
Ebba antwortete ihm nicht, und als Mårten die Polizisten nach draußen begleitete, blieb sie schweigend sitzen.
Auf der Rückfahrt von Valö stellte sich Patrik die gleiche Frage. Was würde es eigentlich bringen, wenn sie die Bestätigung bekämen, dass sich unter den Dielen Blut befand? Die Tat war verjährt, es war viel Zeit ins Land gegangen, und niemand konnte garantieren, dass sich das Rätsel jetzt noch lösen ließ. Welchen Sinn hatte der Fund also? Den Kopf voller unruhiger Gedanken lenkte Patrik das Boot nach Hause.
Als der Arzt verstummte, war es vollkommen still im Raum. Martin hörte nur noch seinen eigenen Herzschlag. Er sah den Arzt an. Wie konnte er nach einer solchen Mitteilung, wie er sie ihnen eben gemacht hatte, so ungerührt wirken? Musste er seinen Patienten mehrmals in der Woche etwas Derartiges sagen, und wenn ja, wie wurde er damit fertig?
Martin zwang sich, weiter zu atmen. Er schien vergessen zu haben, wie man das machte. Jedes Luftholen erforderte eine bewusste Handlung, und er musste sein Gehirn deutlich dazu auffordern.
»Wie lange noch?«, stieß er hervor.
»Es gibt verschiedene Behandlungsmethoden, und die Medizin entwickelt sich ständig weiter …« Der Arzt breitete die Arme aus.
»Wie sieht die Prognose rein statistisch aus?« Martin musste sich extrem zusammenreißen, um ruhig zu bleiben. Am liebsten hätte er sich über den Schreibtisch geworfen, den Arzt am Kittel gepackt und ihn geschüttelt.
Pia saß ganz still da. Noch hatte Martin es nicht gewagt, sie anzusehen. Wenn er das tat, würde alles einstürzen. Im Moment konzentrierte er sich nur auf die Fakten. Die waren wenigstens greifbar.
»Dabei spielen so viele Faktoren eine Rolle, dass wir es leider nicht genau sagen können.« Die gleiche bedauernde Miene, die Hände in der Luft. Martin verabscheute die Geste bereits.
»Beantworten Sie endlich meine Frage!«, schrie er und fuhr vor Schreck über die eigene Stimme beinahe in die Höhe.
»Wir beginnen sofort mit der Behandlung. Es wird sich zeigen, wie sie bei Pia anschlägt. Aber in Anbetracht der Metastasen und der Aggressivität des Tumors … sprechen wir hier von einem halben bis etwa einem Jahr.«
Martin starrte ihn an. Hatte er richtig gehört? Tuva war noch nicht einmal zwei Jahre alt. Sie durfte auf keinen Fall die Mutter verlieren. Das war undenkbar. Er begann zu zittern. Es war unerträglich warm in dem Raum, aber ihm war so kalt, dass er mit den Zähnen klapperte. Pia legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Beruhige dich, Martin. Wir dürfen uns nicht verrückt machen. Es besteht immer die Chance, dass die Diagnose falsch ist, und ich werde alles tun …« Sie wandte sich an den Arzt. »Wenden Sie die radikalste Therapie an, die Sie haben. Ich werde kämpfen.«
»Wir nehmen Sie umgehend stationär auf. Fahren Sie nach Hause und packen Sie Ihre Sachen, wir organisieren den Rest.«
Martin schämte sich. Pia war stark, und er selbst stand kurz vorm Zusammenbruch. Bilder von Tuva gingen ihm durch den Kopf, vom Moment ihrer Geburt bis zum heutigen Morgen, an dem sie mit ihnen im Bett herumgetobt hatte. Das dunkle Haar war wild um ihren Kopf geflogen, ihre Augen hatten geleuchtet. Würde ihr Lachen jetzt verstummen? Sollte sie ihre Lebensfreude und die Zuversicht, dass alles gut war und der nächste Tag noch schöner werden würde, verlieren?
»Wir schaffen das.« Pia war aschfahl im Gesicht, aber sie reagierte mit einer Entschiedenheit, die auf einer enormen Sturheit beruhte. Er kannte sie. Nun würde sie diesen Dickschädel im
Weitere Kostenlose Bücher