Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
wichtigsten Kampf ihres Lebens gut gebrauchen können.
»Wir holen Tuve von meiner Mutter ab und gehen irgendwo Kaffee trinken.« Sie stand auf. »Wenn sie im Bett ist, reden wir in Ruhe. Und ich packe meinen Koffer. Wie lange bin ich wohl von zu Hause weg?«
Martin konnte kaum stehen. Es war typisch Pia, dass sie so praktisch dachte.
Der Arzt zögerte. »Packen Sie genügend Sachen für längere Zeit.«
Er verabschiedete sich und ging zum nächsten Patienten.
Martin und Pia blieben im Flur stehen. Schweigend fassten sie sich an den Händen.
»Gibst du ihnen etwa Saft? Machst du dir keine Sorgen um ihre Zähne?« Kristina warf einen besorgten Blick auf Anton und Noel, die auf dem Sofa saßen und an ihren Fläschchen nuckelten.
Erica holte tief Luft. Ihre Schwiegermutter hatte einen guten Kern und gab sich wirklich Mühe, aber manchmal ging sie ihr unheimlich auf die Nerven.
»Ich habe versucht, sie zum Wassertrinken zu kriegen, aber sie weigern sich, und irgendeine Flüssigkeit brauchen sie bei dieser Hitze. Der Saft ist aber stark verdünnt.«
»Mach, was du willst, jetzt habe ich es wenigstens gesagt. Patrik und Lotta haben immer nur Wasser bekommen, und das ging prima. Sie hatten kein einziges Loch, bis sie von zu Hause auszogen, und der Zahnarzt hat mich immer gelobt, weil sie so schöne Zähne hatten.«
Erica biss sich auf die Knöchel. Sie stand in der Küche und machte dort außerhalb von Kristinas Sichtweite Klarschiff. In kleinen Dosen war ihre Schwiegermutter problemlos zu ertragen, und sie kam wunderbar mit den Kindern zurecht, aber sie so wie heute den halben Tag hier zu haben war eine Herausforderung.
»Ich glaube, ich lass mal die Waschmaschine laufen, Erica«, rief Kristina und sprach laut mit sich selbst weiter. »Es ist doch viel leichter, wenn man ständig ein bisschen was wegräumt und Ordnung hält, dann entstehen gar nicht erst solche Berge. Jedes Ding hat seinen Platz und wird gleich wieder zurückgelegt. Maja ist jetzt groß genug, um ihre Sachen selbst aufzuräumen. Sonst wird sie so ein verwöhnter Teenager, der nie von zu Hause auszieht und sich von vorn bis hinten bedienen lässt. Der Sohn von meiner Freundin Berit, die kennst du doch, ist schon vierzig und noch immer nicht …«
Erica hielt sich die Ohren zu und lehnte sich an den Küchenschrank. Sie schlug mit dem Kopf leicht gegen die kühle Holzverkleidung und flehte den lieben Gott um Geduld an. Ein resolutes Klopfen auf die Schulter ließ sie in die Höhe fahren.
»Was machst du da?« Mit einem vollen Wäschekorb zwischen den Beinen stand Kristina neben ihr. »Du hast mir nicht geantwortet.«
Fieberhaft suchte Erica, die noch immer die Hände auf die Ohren presste, nach einer guten Begründung.
»Ich … muss den Druck ausgleichen.« Sie hielt sich die Nase zu und schnaufte fest. »In letzter Zeit habe ich Probleme mit den Ohren.«
»Oje«, sagte Kristina. »So etwas darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hast du dich auf Mittelohrentzündung untersuchen lassen? Kinder, die in die Kita gehen, sind die reinsten Bakterienherde. Ich habe ja immer gesagt, dass es nicht gut ist, sie in Betreuungseinrichtungen zu stecken. Deshalb bin ich zu Hause geblieben, bis Patrik und Lotta im Gymnasium waren. Sie mussten keinen einzigen Tag im Kindergarten oder bei einer Tagesmutter verbringen und waren nie krank. Unser Arzt hat mich damals gelobt, weil sie so …«
Erica fiel ihr ein wenig zu barsch ins Wort. »Die Kinder waren schon seit Wochen nicht im Kindergarten, ich glaube kaum, dass da die Schuld zu suchen ist.«
»Aha«, erwiderte Kristina gekränkt. »Jetzt habe ich es wenigstens gesagt. Ich weiß schließlich, wen ihr anruft, wenn die Kinder krank werden und ihr arbeiten müsst. Dann muss ich wieder ran.« Sie warf den Kopf in den Nacken und stolzierte mit dem Wäschekorb davon.
Erica zählte langsam bis zehn. Natürlich bekamen sie viel Unterstützung von Kristina, das bestritt sie gar nicht. Aber der Preis war oft hoch.
Josefs Eltern waren schon über vierzig, als seine Mutter völlig überraschend erfuhr, sie sei schwanger. Sie hatten sich schon vor Jahren damit abgefunden, dass sie keine Kinder bekommen würden, und ihr Leben dementsprechend ausgerichtet. Ihre gesamte Zeit hatten sie der kleinen Schneiderei in Fjällbacka gewidmet. Josefs Ankunft hatte alles verändert, und genauso intensiv wie die Freude über den Sohn empfanden sie die Verantwortung, mit ihm ihre Geschichte weiterzuschreiben.
Liebevoll
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