Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
blasses Gesicht sah, wurde ihm klar, dass Gösta recht hatte. Sie brauchte ein bisschen Zeit, und außerdem hatten sie keine Eile.
Dass die Küche einigermaßen aufgeräumt sein sollte, war eine Übertreibung. Überall lagen Pinsel und Werkzeug herum, und neben dem Spülbecken türmten sich schmutziges Geschirr und die Überreste des Frühstücks.
Mårten setzte sich an den Küchentisch.
»Eigentlich sind Ebba und ich Pedanten. Jedenfalls waren wir das mal«, korrigierte er sich. »Wenn man sich hier umsieht, kann man es kaum glauben, was?«
»Renovieren ist die Hölle.« Patrik fegte die Brotkrumen von einem Stuhl und setzte sich.
»Ordnung ist irgendwie nicht mehr so wichtig.« Mårten sah aus dem Küchenfenster. Die Scheibe war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die wie ein Schleier vor der Aussicht lag.
»Was wissen Sie über Ebbas Vergangenheit?«, fragte Patrik.
Er hörte, dass Gösta und Ebba im Esszimmer miteinander sprachen, konnte aber beim besten Willen nicht verstehen, worüber. Göstas Verhalten machte ihn nachdenklich. Schon vorhin in der Dienststelle, als Patrik in Göstas Zimmer gestürmt war, um ihm zu berichten, was passiert war, hatte der auf eine Weise reagiert, die Patrik gar nicht von ihm kannte. Dann hatte sich Gösta in sein Schneckenhaus zurückgezogen und auf dem gesamten Weg nach Valö kein Wort mehr gesagt.
»Meine Eltern und Ebbas Adoptiveltern sind gut befreundet, und ihre Vergangenheit ist nie ein Geheimnis gewesen. Ich weiß schon lange, dass ihre Familie spurlos verschwunden ist, und viel mehr gibt es da auch nicht zu erzählen.«
»Stimmt, die Ermittlungen waren damals ergebnislos, obwohl viel Zeit und Energie darauf verwandt wurden, herauszufinden, was sich tatsächlich abgespielt hatte. Es ist wirklich ein Mysterium, wie sie einfach vom Erdboden verschwinden konnten.«
»Vielleicht waren sie ja die ganze Zeit hier.« Ebbas Stimme ließ die beiden zusammenzucken.
»Ich glaube nicht, dass sie da unten liegen.« Gösta blieb im Türrahmen stehen. »Wenn damals jemand den Fußboden beschädigt hätte, wäre uns das aufgefallen. Er war vollkommen unversehrt, und es waren auch keine Blutspuren zu sehen. Das Blut muss durch die Ritzen gesickert sein.«
»Ich möchte auf jeden Fall die Sicherheit haben, dass sie wirklich nicht da unten sind«, sagte Ebba.
»Keine Angst, die Techniker werden hier morgen jeden Quadratmillimeter absuchen.« Gösta legte den Arm um Ebba.
Patrik fiel die Kinnlade herunter. Normalerweise tat Gösta bei Außeneinsätzen nur das Nötigste. Außerdem konnte Patrik sich nicht erinnern, je gesehen zu haben, wie Gösta einen anderen Menschen berührte.
»Sie brauchen jetzt einen starken Kaffee.« Gösta klopfte Ebba auf die Schulter und ging zur Kaffeemaschine. Als der Kaffee in die Kanne tropfte, wusch er ein paar Tassen ab.
»Können Sie uns nicht erzählen, was Sie über die Ereignisse von damals wissen?« Patrik hielt Ebba einen Stuhl hin.
Als sie sich setzte, fiel ihm auf, wie dünn sie war. Das T-Shirt hing lose herab, und unter dem Stoff zeichneten sich deutlich die Schlüsselbeine ab.
»Ich kann Ihnen bestimmt nichts sagen, was die Leute hier in der Gegend nicht schon längst gehört haben. Da ich erst ein gutes Jahr alt war, als sie verschwanden, kann ich mich an nichts erinnern. Mein Adoptiveltern wissen auch nur, dass sich jemand telefonisch bei der Polizei gemeldet hat und sagte, es sei etwas passiert. Als Ihre Kollegen hier ankamen, war meine Familie weg, nur ich war noch da. Es war der Ostersonnabend. Sie sind am Tag vor Ostern verschwunden.« Sie zog an der Halskette, die sie unter dem T-Shirt trug, und spielte an dem Anhänger herum. Patrik fiel auf, dass sie am Vortag das Gleiche getan hatte. Sie wirkte dadurch noch zerbrechlicher.
»Hier.« Gösta stellte eine Tasse Kaffee für Ebba und eine für sich auf den Tisch und setzte sich. Patrik musste grinsen. So kannte er Gösta.
»Hättest du uns nicht auch einen einschenken können?«
»Sehe ich aus wie ein Kellner?«
Mårten stand auf. »Ich mache das schon.«
»Stimmt es, dass Sie ganz allein zurückgeblieben sind, nachdem Ihre Familie verschwunden ist? Sie hatten keine weiteren Verwandten?«, fragte Patrik.
Ebba nickte.
»Ja. Meine Mutter war ein Einzelkind, und ihre Mutter war noch vor meinem ersten Geburtstag gestorben. Mein Vater war ja viel älter, und daher waren seine Eltern schon lange tot. Meine Adoptiveltern sind meine ganze Familie. In gewisser Weise habe ich
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