Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
ist. Liza natürlich nach der Minelli, auch wenn ich nur ein blasser Abklatsch von ihr bin.« Er legte den Kopf schief und schien darauf zu warten, dass Erica etwas sagte.
»Hör auf mit dem fishing for compliments, Liza.«
Erica drehte sich um. Die Gestalt im Türrahmen musste Walter sein, der Ehemann.
»Da bist du ja. Du musst unbedingt Erica kennenlernen.«
Walter stellte sich hinter Liza und legte ihr liebevoll die Hände auf die Schultern. Liza streichelte ihren Mann zärtlich. Erica ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie und Patrik hoffentlich auch noch so verliebt miteinander umgehen würden, wenn sie fünfundzwanzig Jahre zusammen waren.
»Worum geht es?« Walter setzte sich zu ihnen. Im Gegensatz zu seinem Partner sah er vollkommen durchschnittlich aus: Er war mittelgroß, normal gebaut, diskret gekleidet und hatte schütteres Haar. Bei einer Gegenüberstellung hätte man ihn unmöglich identifizieren können, dachte Erica, aber sein Blick wirkte intelligent und freundlich, und auf merkwürdige Weise schien dieses Paar perfekt zusammenzupassen.
Sie räusperte sich. »Wie schon gesagt, ich versuche, mehr über das Internat auf Valö herauszufinden. Sie waren dort Lehrer, nicht wahr?«
»Ja, leider«, seufzte Liza. »Das war eine grauenhafte Zeit. Ich hatte mein Coming-out noch vor mir, und Homosexualität war damals längst noch nicht so akzeptiert wie heute. Außerdem hatte Rune Elvander furchtbare Vorurteile, die er gern rausposaunte. Als ich noch nicht in der Lage war, wirklich ich zu sein, habe ich mich irrsinnig um Anpassung bemüht. Ich war zwar nie der kernige Holzfällertyp, tat jedoch so, als wäre ich heterosexuell und völlig normal, wie man so schön sagt. Das habe ich in meiner Kindheit intensiv trainiert.«
Er senkte den Blick, und Walter strich ihm tröstend über den Arm.
»Ich glaube, es ist mir gelungen, Rune hinters Licht zu führen, aber von Schülern hatte ich einige Sticheleien zu ertragen. Die Schule war voller Nichtsnutze, die nichts Besseres zu tun hatten, als nach den wunden Punkten anderer Menschen zu suchen. Länger als ein halbes Jahr hätte ich es dort nicht ausgehalten. Ich wollte nach den Osterferien nicht zurückkehren, aber die Kündigung blieb mir dann ja erspart.«
»Wie haben Sie auf die Ereignisse reagiert? Haben Sie eine Erklärung dafür?«, fragte Erica.
»Ganz unabhängig davon, was ich von der Familie hielt, war die Sache natürlich schrecklich. Ich gehe davon aus, dass Elvanders etwas Furchtbares zugestoßen ist.«
»Sie haben aber keine Ahnung, was?«
Liza schüttelte den Kopf. »Nein, mir ist das genauso ein Rätsel wie allen anderen.«
»Wie war die Stimmung in der Schule? Gab es Streitigkeiten?«
»Das kann man wohl sagen. Das Internat war der reinste Dampfkessel.«
»Wie meinen Sie das?« Ericas Puls stieg. Zum ersten Mal erfuhr sie, was sich hinter den Kulissen abgespielt hatte. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht?
»Nach Berichten meines Vorgängers lagen sich die Schüler von Anfang an in den Haaren. Sie waren gewohnt, alles zu bekommen, was sie wollten, und mussten gleichzeitig hohe Erwartungen ihrer Eltern erfüllen. Das konnte nur mit Hahnenkämpfen enden. Als ich anfing, hatte Rune bereits die Peitsche geschwungen und alle einigermaßen zur Räson gebracht, aber ich spürte die Spannungen unter der Oberfläche.«
»Was hatten die Jungs für eine Beziehung zu Rune?«
»Sie haben ihn gehasst. Er war ein sadistischer Psychopath«, stellte Liza sachlich fest.
»Sie beschreiben Rune Elvander nicht gerade positiv.« Erica ärgerte sich, dass sie ihr Aufnahmegerät nicht mitgebracht hatte. Sie musste sich das Gespräch so gut wie möglich einprägen.
Liza erschauerte, als ob ihr plötzlich kalt wäre. »Rune Elvander ist mit Abstand der widerlichste Mensch, dem ich je begegnet bin. Und glauben Sie mir«, er warf seinem Mann einen Blick zu, »wenn man so lebt wie wir, findet man sich öfters mit unangenehmen Typen konfrontiert.«
»Was für ein Verhältnis hatte er zu seiner Familie?«
»Das kommt wahrscheinlich darauf an, welches Familienmitglied sie gefragt hätten. Inez scheint nicht viel zu lachen gehabt zu haben, und es fragt sich, warum sie Rune überhaupt geheiratet hat. Sie war jung und hübsch. Ich hatte den Eindruck, dass sie von ihrer Mutter dazu gezwungen worden war. Die Alte ist kurz nach meiner Einstellung gestorben, und das war wohl eine Erleichterung für Inez, denn die Frau muss wirklich ein Scheusal gewesen
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