Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
über die Bewohner von Hamburgsund und Umgebung wie er.
Magnus guckte etwas komisch, schrieb ihr dann aber kommentarlos detailliert den Weg auf. Mit einem Auge auf dem Zettel und einem auf der Straße fuhr sie weiter und gelangte schließlich zum richtigen Haus. Erst jetzt dachte sie daran, dass an so einem schönen Tag vielleicht niemand zu Hause war. Fast alle, die freihatten, waren auf irgendeiner Insel im Schärengarten oder an einem der vielen Strände. Sie beschloss, es wenigstens zu versuchen. Als sie beim Aussteigen Musik hörte, wurde sie optimistisch.
Während sie darauf wartete, dass jemand ihr die Tür aufmachte, summte sie die Melodie mit: »Non, je ne regrette rien.« Sie konnte lediglich den Refrain in vollkommen falschem Französisch, aber die Musik nahm sie so gefangen, dass sie kaum bemerkte, wie die Tür aufging.
»Oh, kommt da etwa eine Bewunderin von Edith Piaf?«, rief ein kleiner Mann in einem dunkelvioletten Seidenmantel mit Goldbesatz.
Erica konnte ihr Staunen nicht verbergen.
Der Mann lächelte. »So, Schätzchen. Wollen Sie mir etwas andrehen, oder haben Sie was anderes auf dem Herzen? Falls Sie eine Vertreterin sind, ich bin bereits wunschlos glücklich, aber ansonsten dürfen Sie gern reinkommen und mir auf der Veranda Gesellschaft leisten. Da Walter die Sonne nicht mag, sitze ich dort mutterseelenallein, und es gibt nichts Trostloseres, als seinen Rosé allein zu trinken.«
»Ja, ich … habe tatsächlich etwas auf dem Herzen«, stammelte Erica.
»Na dann!« Der Mann klatschte vor Entzücken in die Hände und ging ein paar Schritte rückwärts, um sie hereinzulassen.
Erica sah sich im Hausflur um. Überall Gold, Troddeln und Samt. Der Begriff üppig für die Einrichtung war noch untertrieben.
»Diese Etage habe ich gestaltet, oben durfte Walter bestimmen. Wenn eine Ehe so lange halten soll wie unsere, muss man Kompromisse machen. Wir sind bald fünfzehn Jahre verheiratet und haben davor bereits zehn Jahre in Sünde zusammengelebt.« Er wandte sich zur Treppe und rief: »Wir haben Besuch, Liebling! Komm runter und trink ein Glas mit uns, anstatt da oben zu versauern!«
Mit erhobener Hand schwebte er durch den Flur.
»Sie sollten mal sehen, wie es da oben aussieht. Wie in einem Krankenhaus. Total steril. Walter nennt es Purismus. Er ist vollkommen in den sogenannten nordischen Stil vernarrt, und der ist bekanntlich alles andere als gemütlich. Im Übrigen auch keine besonders große Kunst. Man streicht einfach alles weiß an, stellt diese abscheulichen Birkenmöbel von Ikea auf und schwupp, fertig ist das Heim.«
Er lief um einen gewaltigen Ohrensessel aus rotem Brokat herum und steuerte die offene Verandatür an. Auf dem Tisch standen eine Flasche Rosé in einem Eiskübel und ein halbvolles Glas.
»Darf ich ein Schlückchen Wein anbieten?« Er griff bereits nach der Flasche. Sein seidener Mantel umhüllte die mageren weißen Beine.
»Das klingt verlockend, aber ich muss noch fahren.« Erica malte sich aus, wie herrlich es gewesen wäre, auf dieser schönen Veranda mit Blick auf den Sund und die Insel Hamburgö ein Glas Wein zu trinken.
»Schade. Kann ich Sie wirklich nicht zu ein paar Tröpfchen überreden?« Er winkte verführerisch mit der Flasche.
Erica konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Da mein Mann Polizist ist, wage ich es einfach nicht, auch wenn es mir schwerfällt.«
»Er sieht sicher schrecklich gut aus. Ich hatte immer eine Schwäche für Männer in Uniform.«
»Ich auch.« Erica setzte sich in einen Liegestuhl.
Der Mann drehte sich um und stellte die Musik ein wenig leiser. Dann schenkte er Erica ein Glas Wasser ein und reichte es ihr lächelnd.
»Und wie komme ich zu der Ehre, dass mich so eine schöne junge Frau besucht?«
»Ich heiße Erica Falck und bin Schriftstellerin. Zurzeit recherchiere ich für ein zukünftiges Buch. Sie sind doch Ove Linder? Der Anfang der siebziger Jahre im Internat von Rune Elvander als Lehrer gearbeitet hat?«
Das Lächeln erlosch. »Ove. Das ist lange her …«
»Bin ich falsch hier?« Hatte Erica die detaillierte Wegbeschreibung von Magnus vielleicht doch falsch verstanden?
»Nein, aber Ove Linder bin ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr.« Nachdenklich ließ er sein Glas kreisen. »Ich habe zwar nicht offiziell einen anderen Namen angenommen – in dem Fall hätten Sie mich ja auch gar nicht gefunden –, aber ich heiße nun Liza. Ove nennt mich niemand mehr, außer Walter, wenn er wütend auf mich
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