Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
danebenbenommen haben, und reden ansonsten nur über Haushaltskürzungen und Rationalisierung, doch dahinter verbergen sich immer noch dieselben Nazis. Hitlergruß und Hakenkreuzfahne werden nur im Schutz der Dunkelheit verwendet. Anschließend sitzen sie in Talkshows und beklagen sich, sie wären ungerechtfertigten Angriffen und Vorwürfen ausgesetzt.«
»Mir brauchst du keine Predigt zu halten. Wir zwei sind uns vollkommen einig«, lachte Rolf und hob abwehrend die Hände.
»Ich glaube, dass sich dahinter etwas verbirgt.« Kjell massierte sich die Nasenwurzel.
»Bei wem denn?«
»Bei John. Er ist zu geschmeidig, zu glatt. Alles wirkt zu perfekt. Er hat ja nicht einmal den Versuch unternommen, seine Skinheadvergangenheit geheim zu halten, sondern in jeder Sendung im Frühstücksfernsehen öffentlich Abbitte geleistet. Für die Wähler ist das nichts Neues. Ich muss tiefer bohren. Er kann doch nicht alles abgeschüttelt haben.«
»Ich glaube, du hast recht, aber es wird nicht leicht, etwas zu finden. John Holm hat sich mit seiner sauberen Fassade viel Mühe gegeben.« Rolf legte die Zeitung weg.
»Ich werde jedenfalls …« Kjell wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen. »Wenn das wieder Beata ist …« Nach kurzem Zögern brüllte er in den Hörer: »Ja?«
Als er hörte, wer dran war, stimmte er sofort eine andere Tonlage an. Rolf beobachtete ihn amüsiert.
»Mensch, Erica. Hallo … Nein, keine Sorge … Doch, natürlich … Was sagst du da? Machst du Witze?«
Er grinste Rolf kurz an. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten. Nachdem er sich ein paar Notizen gemacht hatte, ließ er den Stift fallen, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Jetzt kommt Bewegung in die Sache.«
»Wer war das überhaupt?«
»Erica Falck. Offenbar bin ich nicht der Einzige, der sich für John Holm interessiert. Sie hat mich für den Artikel gelobt und gefragt, ob ich Material über ihn hätte, das sie sich mal ansehen dürfe.«
»Wieso beschäftigt sie sich mit ihm?«, fragte Rolf. Dann riss er die Augen auf. »Weil er auch auf Valö war? Will sie etwas über die verschwundene Familie schreiben?«
Kjell nickte. »Sieht so aus. Aber das Beste kommt noch. Halt dich fest, du wirst es nicht glauben.«
»Verdammt noch mal, Kjell, jetzt spann mich nicht auf die Folter.«
Kjell grinste. Er liebte dieses Spielchen, und er war überzeugt, dass Rolf gefallen würde, was er zu erzählen hatte.
Stockholm 1925
D ie Frau, die ihr die Tür aufmachte, sah ganz anders aus, als Dagmar sie sich vorgestellt hatte. Sie war weder schön noch verführerisch, sondern wirkte müde und verhärmt. Außerdem schien sie älter als Hermann zu sein, und ihre ganze Erscheinung wirkte durchschnittlich.
Dagmar stand stumm da. Hatte sie vielleicht an der falschen Tür geklingelt? Doch auf dem Schild stand Göring, und sie nahm an, dass die Frau die Haushälterin des Paars war. Entschieden packte Dagmar Lauras Hand.
»Ich möchte Hermann sprechen.«
»Hermann ist nicht zu Hause.« Die Frau musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Dann warte ich hier auf ihn.«
Laura hatte sich hinter Dagmar versteckt. Die Frau lächelte das kleine Mädchen freundlich an.
»Ich bin Frau Göring. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Die verhasste Frau also, die ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen war, seit sie ihren Namen zum ersten Mal in der Zeitung gelesen hatte. Dagmar betrachtete Carin Göring verblüfft: das praktische Schuhwerk, den knöchellangen Rock, die züchtig bis zum Hals geschlossene Bluse und den strengen Haarknoten. Rings um die Augen zeichneten sich Fältchen ab, und die Haut wirkte ungesund blass. Plötzlich war ihr alles klar. Natürlich war sie die Frau, die Hermann hinters Licht geführt hatte, denn ohne krumme Tricks hätte so eine alte Schachtel Hermann nie für sich eingenommen.
»Ja, wir beide haben auch einiges miteinander zu besprechen.« Sie packte Lauras Hand und betrat die Wohnung.
Carin machte einen Schritt zur Seite und unternahm nichts, um sie aufzuhalten. Sie nickte nur abwartend. »Soll ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
Dagmar sah sie argwöhnisch an. Dann ging sie unaufgefordert in das Zimmer gleich neben dem Eingangsbereich. Im großen Salon blieb sie abrupt stehen. Die geräumige Wohnung war genauso schön, wie sie sich Hermanns Zuhause ausgemalt hatte – große Fenster, hohe Decken und ein spiegelblanker Parkettboden –, aber fast leer.
»Warum gibt es hier keine Möbel, Mutter?« Laura sah
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