Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Sie hatte gehofft, einem unsympathischen Mann zu begegnen, der offen seine Ansichten vertrat. Stattdessen war sie auf etwas viel Gefährlicheres gestoßen. Eine wortgewandte Person, die auf vertrauenerweckende Art einfache Antworten gab. Die den Wählern half, den Sündenbock zu finden, und ihnen versprach, diesen zu vertreiben.
Erica lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie war überzeugt davon, dass John Holm etwas zu verbergen hatte. Vielleicht hing das mit den Ereignissen auf Valö zusammen, vielleicht auch nicht. Sie musste es noch herausfinden, und sie wusste auch schon, mit wem sie sprechen würde.
»Kinder, wir fahren eine Runde mit dem Auto!«, rief sie ins Wohnzimmer. Jubel schallte ihr entgegen. Alle drei fuhren leidenschaftlich gern Auto.
»Mama muss nur noch kurz telefonieren. Zieh dir schon mal die Schuhe an, Maja, ich komme gleich und helfe Anton und Noel.«
»Das kann ich doch machen.« Maja nahm ihre Brüder an die Hand und schleifte sie in den Hausflur. Erica lächelte. Maja wuchs zusehends in die Rolle der Bonusmama hinein.
Eine Viertelstunde später waren sie unterwegs nach Uddevalla. Sie hatte sich telefonisch versichert, dass Kjell da war, damit sie die Kinder nicht umsonst durch die Gegend kutschierte. Zuerst hatte sie überlegt, ihm die ganze Sache am Telefon zu erklären, aber dann war ihr klargeworden, dass er den Zettel mit eigenen Augen sehen musste.
Nachdem sie auf der ganzen Fahrt Kinderlieder gesungen hatten, meldete sich Erica mit heiserer Stimme am Empfang. Kurze Zeit später wurden sie von Kjell persönlich begrüßt.
»Ui, da ist ja die ganze Mannschaft.« Er sah die drei Kinder an, die seinen Blick schüchtern erwiderten.
Als er Erica umarmte, kratzte sein Bart an ihrer Wange. Erica lächelte. Sie freute sich, ihn wiederzusehen. Sie hatten sich vor einigen Jahren kennengelernt, als sich bei den Ermittlungen in einem Mordfall herausstellte, dass Elsy, ihre Mutter, und Kjells Vater während des Zweiten Weltkriegs miteinander zu tun gehabt hatten. Sie und Patrik mochten Kjell sehr und schätzten ihn auch als Journalisten.
»Heute kein Babysitter.«
»Macht nichts. Toll, euch zu sehen.« Kjell sah die Kinder vergnügt an. »Ich glaube, ich habe einen Korb Spielsachen, mit denen ihr euch beschäftigen könnt, während eure Mama sich mit mir unterhält.«
»Spielsachen?« Auf einmal war die Schüchternheit wie weggeblasen, und Maja marschierte voller Vorfreude hinter Kjell her.
»Hier ist der Korb, aber wahrscheinlich sind vor allem Wachsmaler und Papier darin.« Kjell kippte alles auf den Fußboden.
»Ich kann nicht dafür garantieren, dass der Teppich keine Flecken abbekommt«, sagte Erica. »Es gelingt ihnen noch nicht immer, sich nur auf das Papier zu beschränken.«
»Hast du den Eindruck, dass der eine oder andere Fleck diesem Teppich noch was ausmachen könnte?« Kjell setzte sich an den Schreibtisch.
Erica betrachtete den schmutzigen Fußboden und gab ihm recht.
»Ich habe gestern mit John Holm gesprochen.« Sie nahm auf dem Besucherstuhl Platz.
Kjell sah sie forschend an.
»Was hattest du für einen Eindruck von ihm?«
»Er ist charmant, aber lebensgefährlich.«
»Damit liegst du vermutlich richtig. In seiner Jugend gehörte John einer der schlimmsten Gruppen in der Skinheadbewegung an. Dort hat er auch seine Frau kennengelernt.«
»Mit Glatze kann ich ihn mir kaum vorstellen.« Erica drehte sich nach ihren Kindern um, die sich von ihrer besten Seite zeigten.
»Stimmt, er hat sein Image ordentlich aufpoliert, aber meiner Erfahrung nach ändern diese Typen nicht ihre Meinung. Sie werden mit den Jahren lediglich cleverer und lernen, sich zu benehmen.«
»Hat er Einträge im Strafregister?«
»Nein, obwohl er als Jugendlicher mehrmals haarscharf daran vorbeigeschrammt sein soll, ist er nie rechtskräftig verurteilt worden. Andererseits glaube ich keine Sekunde, dass er seine politische Einstellung geändert hat, seit er sich nicht mehr an Naziaufmärschen beteiligt. Allerdings wage ich zu behaupten, dass es zu neunzig Prozent ihm zu verdanken ist, dass die Partei im Reichstag sitzt.«
»Inwiefern?«
»Sein erster Geniestreich bestand darin, die Zersplitterung auszunutzen, zu der es unter den verschiedenen nationalsozialistischen Gruppen nach dem Schulbrand in Uppsala kam.«
»Als damals die drei Nazis verurteilt wurden?« Erica erinnerte sich noch an die fetten Schlagzeilen vor einigen Jahren.
»Ja, genau. Abgesehen von den Spaltungen zwischen und
Weitere Kostenlose Bücher