Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
selbstverständlich, meine Süße.« Rita lächelte sie an.
Paula holte tief Luft, bevor sie den ersten Löffel zum Mund führte. Obwohl sie das Gefühl hatte, den Bissen im Leben nicht hinunterschlucken zu können, kaute sie tapfer. Das Kind brauchte Nahrung.
»Wie läuft es bei der Arbeit?«, fragte sie. »Kommt ihr beim Valö-Fall voran?«
Mellberg verschlang in Windeseile seine Portion, bevor er ihr antwortete.
»Doch, es geht voran. Ich muss den anderen ordentlich Dampf machen, aber dann kommt auch etwas dabei heraus.«
»Was habt ihr denn bis jetzt herausgefunden?«, erkundigte sich Paula. Sie wusste genau, dass Bertil diese Frage wahrscheinlich nicht beantworten konnte, obwohl er die Dienststelle leitete.
»Tja …« Er wirkte verwirrt. »Um genau zu sein, haben wir noch keinen Überblick über unsere Ergebnisse.«
Als sein Handy klingelte, meldete er sich mit einer gewissen Erleichterung.
»Ja, Mellberg … Hallo, Annika … Wo zum Teufel steckt denn Hedström? Und Gösta? … Was soll das heißen, ihr könnt sie nicht erreichen? … Valö? Das kann ich doch machen … Hörst du nicht, was ich sage? Ich mache es selbst!« Er beendete das Gespräch und ging leise vor sich hin brummend in den Flur.
»Wo willst du hin? Du hast deinen Teller nicht abgeräumt!«, rief Rita ihm hinterher.
»Das ist eine wichtige polizeiliche Angelegenheit. Auf Valö ist geschossen worden. Ich habe jetzt keine Zeit, mich um den Haushalt zu kümmern.«
Paulas Lebensgeister erwachten, und sie rappelte sich so schnell wie möglich auf.
»Warte, Bertil! Was hast du gesagt? Auf Valö ist jemand erschossen worden?«
»Einzelheiten sind mir nicht bekannt, aber ich habe Annika klargemacht, dass ich sofort rausfahre und mich persönlich um die Sache kümmere.«
»Ich komme mit.«
Paula ließ sich ächzend auf einen Stuhl sinken, um sich die Schuhe anzuziehen.
»Kommt gar nicht in Frage«, sagte Bertil. »Außerdem hast du Urlaub.«
Sofort kam Rita aus der Küche und sprang ihm zur Seite.
»Bist du verrückt?«, schrie sie heftig. Es grenzte an ein Wunder, dass Leo nicht wach wurde, der in einem Reisebett in Ritas und Bertils Schlafzimmer seinen Mittagsschlaf hielt. »In deinem Zustand machst du nicht solche Sachen!«
»Ganz meine Meinung, Rita, bring deine Tochter zur Vernunft.« Mellberg legte die Hand auf die Klinke und wollte sich aus dem Staub machen.
»Ohne mich gehst du nirgendwohin. Falls du es doch versuchst, trampe ich nach Fjällbacka und schlage mich auf eigene Faust zur Insel durch.«
Paula war wild entschlossen. Sie hatte das Stillsitzen und die Untätigkeit satt. Ihre Mutter schimpfte weiter, aber sie fegte deren Einwände beiseite.
»Dass diese Weiber aber auch immer verrücktspielen müssen«, seufzte Mellberg und gab sich geschlagen.
Er ging voraus zum Auto, und als Paula das Erdgeschoss erreicht hatte, liefen bereits der Motor und die Klimaanlage.
»Versprich mir, dass du es ganz ruhig angehen lässt und im Hintergrund bleibst, falls es brenzlig wird.«
»Versprochen.« Paula nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Zum ersten Mal seit Monaten hatte sie wieder das Gefühl, sie selbst und kein Brutkasten auf Beinen zu sein. Während Mellberg bei Victor Bogesjö von der Küstenwache anrief, fragte sie sich, was sie auf der Insel erwartete.
Fjällbacka 1929
D ie Schule war eine Qual. Jeden Morgen zögerte Laura den Augenblick, in dem sie sich auf den Weg machen musste, so lang wie möglich hinaus. In den Pausen riefen die Kinder ihr Schimpfwörter und Beleidigungen nach, und daran war natürlich ihre Mutter schuld. Jeder in Fjällbacka kannte Dagmar und wusste, dass sie nicht ganz richtig im Kopf war und soff wie ein Loch. Manchmal sah Laura sie, wenn sie aus der Schule kam. Dann irrte ihre Mutter über den Marktplatz, brüllte die Leute an und redete wirres Zeug über Göring. Laura blieb nie stehen, sondern lief weiter, als hätte sie Dagmar nicht bemerkt.
Zu Hause war Mutter nur selten. Sie war bis spätabends unterwegs und lag morgens, wenn Laura zur Schule ging, noch im Bett. Wenn Laura nach Hause kam, war sie nicht mehr da. Dann sorgte das Mädchen als Erstes für Ordnung. Bevor sie nicht alle Spuren ihrer Mutter beseitigt hatte, hatte sie keine Ruhe. Sie hob Kleidungsstücke vom Boden auf und wusch sie, wenn sich genügend Wäsche angesammelt hatte. Sie machte die Küche sauber, stellte die Butter in den Vorratsschrank und legte das Brot, das noch essbar war, in den Brotkasten. Sie wischte
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