Die Engelsmuehle
hinunterzulassen. Die Tiefe war unmöglich zu schätzen. Ein fauler Modergestank drang von unten herauf. An der Innenseite ragten einzementierte Eisensprossen aus dem Gestein. Die vierte Sprosse war nur noch vage zu erkennen, danach versank der Schacht in Dunkelheit. Es wäre das ideale Versteck, um Beweismittel verschwinden zu lassen - und in diesen Brunnen würden Garek oder Krajnik garantiert nicht steigen. Hogart legte Mantel und Sakko über die Steinbrüstung und nahm das Schulterholster ab. Dann schwang er sich über den Rand. Natürlich war es Wahnsinn, mit den neuen Lackschuhen, dem Hemd und der Anzughose, die er heute Morgen wegen seines Friedhofbesuchs angezogen hatte, in dieses Dreckloch zu klettern. Aber pfeif drauf! In seinem Schrank hingen noch andere Anzüge.
Statt der ersten Sprosse ragten nur zwei stumpfe Eisenstangen aus der Mauer. Bloß nicht daran aufspießen. Als er sein Gewicht auf die zweite Sprosse verlagerte, brach die Stange mit einem knirschenden Geräusch aus dem Stein. Hogart rutschte ab. Rasch klammerte er sich am Rand fest. Er schürfte sich die Handflächen auf und zerriss sich das Hemd am Ellenbogen. Keuchend zog er sich hoch und schob sich über den Rand. Was für eine blödsinnige Idee, in diesen jahrhundertealten Brunnen zu steigen.
Andererseits ließ ihn der Gedanke nicht los, das Ende des Schachts zu erforschen. Sollten Garek und der Spurensicherer doch das Haus auf den Kopf stellen. Madeleine war bestimmt nicht so leichtsinnig, belastende Beweise auf dem Nachttisch liegen zu lassen. Falls sie etwas verschwinden ließ, dann bestimmt in diesem Schacht.
Hogart marschierte zum Holzschuppen. Darin befanden sich nur alte, mit Spinnweben überzogene Fahrräder, weitere Marderfallen, Ölfässer und rostige Werkzeugkästen. An der Wand hing eine dreiteilige Holzleiter, die sich verlängern ließ, wenn man die Teile ineinandersteckte. Hogart hob die Leiter aus dem Schuppen und ließ die Haken auf der jeweils obersten Sprosse einrasten. Damit war sie nahezu drei Meter lang. Zwar sahen die Holzsprossen nicht gerade vertrauenerweckend aus, doch immer noch besser als die porösen Metallhaken, an denen er sich fast aufgeschlitzt hatte.
Hogart zerrte die Leiter zum Brunnen, wuchtete sie über die Mauer und ließ sie in die Tiefe sausen. Im nächsten Augenblick verschwand sie in der Dunkelheit. Dumpf prallte sie auf.
»Leck mich!«, entfuhr es ihm. Zumindest befand sich kein Wasser, sondern fester Boden auf dem Grund des Brunnens.
Wenn er sich über die Brüstung beugte und in die Finsternis starrte, erkannte er gerade noch die oberste Holzsprosse.
Ohne lange zu überlegen, ging Hogart zurück ins Atelier, um eine Petroleumlampe zu holen. Im Behälter befand sich genug Brennstoff, sodass die Lampe eine gute Stunde brennen würde. Auf dem Rückweg blieb er beim Schuppen stehen, den er noch einmal nach einem brauchbaren Werkzeug durchstöberte. Allerdings befand sich nicht einmal eine Kelle in der Hütte, mit der er den Grund des Schachts hätte aufgraben können. Sicherheitshalber warf er einen Blick in den Vorratskeller, der neben dem Schuppen in den Berghang führte. Aus dem Kohlenkeller drang ein fürchterlicher Gestank nach feuchtem, schimmeligem Gemüse. In den Holzsteigen faulten Kartoffeln, Zwiebeln, Radieschen und Knoblauchzehen vor sich hin. Meterlang war das Gemüse von einem grünen Pilz überzogen. Diese Lebensmittel hatte bestimmt noch Ernest Bohmann persönlich hier verstaut. Hogart würgte. Als er noch dazu die fetten Spinnen sah, die über die Decke krabbelten und sich hinter den Holzsteigen im Schatten verkrochen, lief ihm eine Gänsehaut über Arme und Nacken. Schon wollte er den Vorratskeller wieder schließen, da stieß er mit dem Fuß gegen den Türpfosten, und der Griff eines Spatens fiel ihm in die Hände.
Mit dem Werkzeug marschierte er zum Brunnen, entzündete die Petroleumlampe und hing sie an den vorstehenden Eisenstift der ersten Sprosse. Das Licht reichte aus, um die ersten zwei Meter der Leiter zu erkennen. Hatten sich seine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnt, würde er noch mehr sehen. Hauptsache, auf dem Grund des Brunnens gab es keine Spinnen.
Mit dem Spaten in der Hand kletterte er über die Mauer, tastete sich bis zum Beginn der Leiter und stieg Sprosse für Sprosse in die Tiefe.
Unten angekommen roch der faulige Schlamm am intensivsten. Doch in wenigen Minuten würde er sich an den Gestank gewöhnt haben.
Hogart stützte sich auf den Griff des
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