Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
den größten Reibach   –, und nun fahren sie weiß Gott wo rum.»
    «Das ist doch unmöglich. Die Männer auf den Schiffen können nie mehr in ihre Heimathäfen zurück, viele von ihnen haben sicher Familien, die lässt man nicht so einfach zurück.»
    «Sie tun es trotzdem, Rosina. In den Häfen sammeln sich viele, die nur zu gerne ihr altes Leben hinter sich lassen. Erst recht für ein ordentliches Entgelt. Zu gerne, ja. Es waren alles alte Schiffe, deshalb hat der Lump besonders hohe Gebühren gefordert, mit kleinen Mannschaften von allen möglichen Küsten und Inseln. Die Männer waren auch nicht alle registriert, wie es in Hamburg Vorschrift ist. Das spricht für etliches übles Volk. Es waren fünf Schiffe, soviel man weiß, und der Senator glaubt, zumindest bei einigen waren nur der Kapitän und sein Steuermann eingeweiht, die haben wahrscheinlich den Rest mit dem Kahn absaufen lassen. Nach dem Löschen natürlich. Es ist eine wahrhaft sündige Angelegenheit, in der Tat. Sündig. Aber vielleicht», Wagners Gesicht verzog sich bei dem Gedanken an so viele Tote kummervoll, «vielleicht machen sie sich alle längst ein reiches Leben auf den Westindischen Inseln, dort kommt kaum ein Schiff von unseren Küsten hin. Aber einer eben nicht.»
    «Einer? Wer?»
    «Von dem man die ganze Geschichte erfahren hat. Einer hatte, nun ja, er hatte Heimweh, einer der Kapitänewohl, ein anderer hätte kaum um alle Umstände gewusst. Er ist heimlich nach Stade zurückgekehrt, um sein Mädchen zu holen, bei Nacht und Nebel. Aber Stade ist klein, da bleibt nichts heimlich. Es kostete wenig Zeit und Mühe, bis er alles verriet. Dann haben sie ihn gehenkt.»
    Auf der Treppe kamen rasche Schritte näher, die Tür flog auf und Helena stürmte herein. «Sitzt ihr noch immer in der Stube?», rief sie. «Seht mal, was ich hier habe», triumphierend hielt sie ein kleines Bündel Papier hoch. «Billetts für das Drury Lane Theatre, heute Abend, für uns alle. Ist das nicht wunderbar? Mr.   Garrick ist wieder zurück und Mr.   Lancing hat sein Versprechen gehalten, obwohl Jean und Rudolf ihm ständig an den Fersen kleben und nach seiner formidablen Bühnenmaschinerie ausfragen. Gott segne ihn. Aber nun muss ich laufen, Manon und die Jungen warten, wir wollen in die St.-Pauls-Kathedrale. Fast dreihundert Stufen hoch in der riesigen Kuppel gibt es eine Galerie, auf der soll man jedes geflüsterte Wort von der anderen Seite verstehen, obwohl die schrecklich weit entfernt ist. Wir hoffen grausigste und galanteste Geheimnisse zu belauschen.»
    Sie warf ihnen vergnügt eine Kusshand zu und war schon wieder aus der Tür, ihre Schritte verklangen auf der Treppe genauso schnell, wie sie heraufgekommen waren.
    «Manon?», fragte Rosina. «Ich dachte, sie ist bei Karla.»
    «Heute nicht», sagte Wagner, «Karla ist mit Gesine auf der Piazza.»
    Für einen Moment glättete sich sein kummervolles Gesicht. Eine passendere Begleitung für Karla konnte eskaum geben, Manons Mutter war jeglicher Leichtsinn fremd wie die Sünde.
    An jedem anderen Tag hätte Rosina Helenas Begeisterung über die Billetts geteilt, nun musste die Freude über Mr.   Lancings formidables Geschenk noch ein wenig warten.
    «Sie haben ihn gehenkt», erinnerte sie Wagner an seinen letzten Satz. «Das war dumm, er war doch der Einzige, der den Mann erkennen konnte.»
    «Da der verschwunden war, hat das niemanden interessiert.» Wagner zog seine Schale heran und begann lustlos in der kalten Grütze herumzurühren. «Ich habe dem Senator gleich gesagt, dass ich der falsche Mann für solcherlei Verbrechen und Nachforschungen bin, in Hamburg wäre ich   …»
    «Das stimmt doch nicht, Wagner», rief Rosina. «Jeder andere schlüge sich mit dem gleichen Dilemma herum. Warum schickt van Witten Euch auch auf die Suche nach einem Mann, von dem Ihr nur wisst, was er getan hat, aber nicht, wie er wirklich heißt, wie er aussieht und welche Bekanntschaften er hier haben könnte. Eines begreife ich immer noch nicht. Der Mann, den Ihr finden sollt, hat in allen möglichen Städten betrogen und vielleicht sogar dafür gesorgt, dass einige Schiffe mit Mann und Maus verschwunden oder untergegangen sind. Nun habt Ihr die ganze Zeit Almas Entführer gesucht, um das Mädchen, das nun leider tot ist, und diese dummen Münzen zu finden. Was hat das miteinander zu tun?»
    «Habe ich das nicht gesagt?» Wagner sah erstaunt von seiner Grütze auf. «Es ist ganz einfach: Er ist ein und derselbe Mann.

Weitere Kostenlose Bücher