Die englische Episode
Ganz einfach, ja.»
Was Wagner nun erzählte, klang für Rosina nicht vollendsüberzeugend, aber es war auch nicht von der Hand zu weisen.
Die Beschreibungen, die die betrogenen Schiffseigner von dem vermeintlichen Assekuradeur gegeben hatten, stimmten mit der überein, die Almas Freundin von deren ‹Entführer› gegeben hatte. Eine sehr allgemeine Beschreibung, die – wie Wagner immer wieder feststellte – auf unzählige Männer passte, in London wie in Hamburg. Der Abschiedsbrief jedoch, den sie ihrer Mutter hinterließ, erwies sich als verräterischer. Er war auf einem Stück Papier geschrieben, das von einem größeren Bogen abgeteilt worden war. Alma bat ihre Mutter neben vielen anderen Entschuldigungen auch um Abbitte für dieses Papier, das auf der Rückseite nicht mehr ganz rein sei. Sie habe kein anderes gehabt, schrieb sie, aber auch an dem feinen Papier erkenne man, dass ihr zukünftiger Ehegatte bedeutenden Geschäften nachgehe. Von denen wisse sie zwar nicht viel, da sie wie oft im Handel mit größter Diskretion zu betreiben seien, aber sie versprächen jedenfalls eine goldene Zukunft. Im Übrigen hoffe sie auf Verzeihung ihres Eigensinns, umso mehr, als sie sich wünsche, ihre Mutter werde ihr folgen, sobald das Haus eingerichtet sei.»
«Wo? Etwa in London?», fragte Rosina. Von diesem Brief hatte Wagner bisher nie erzählt. «Ich dachte, Ihr wisst von London nur durch die Andeutungen, die Alma in der Küche ihrer Patin gemacht hat.»
«Das stimmt, und auch bei dieser Freundin in der Kunstblumen-Manufaktur. Sie hat nicht geschrieben, wohin sie mit ihm will. Aber das Papier. Das war das Wichtige. Madame Severin hat es der Senatorin gezeigt, und Madame van Witten ist eine gründliche Person. Sie hatgemerkt, dass auf der Rückseite etwas in Spiegelschrift stand. Es war nur etwa ein Viertel eines ganzen Bogens und die Schrift war nicht vollständig.
Mit ein wenig Mühe, einem Spiegel und einer Vergrößerungslinse konnte man doch erkennen, dass es der Abdruck einer Police war. Versteht Ihr?»
Rosina sah ihn ratlos an. «Nicht wirklich. Eine Police, ja. Aber wie kam der Abdruck auf den Papierbogen?»
«Das weiß ich nicht.» Nun war es an Wagner, ungeduldig zu werden. «Jetzt, nachdem Hebbel uns sein Handwerk erklärt hat, denke ich, der Kerl hat die gerade gedruckten Policen mitgenommen, nachdem er Kloth getötet hat. Womöglich will er sie noch verwenden. Und weil die Bögen noch nicht trocken waren, besonders der letzte, den er so hastig herausgerissen haben muss, hat er sie mit einem reinen Bogen bedeckt. So drückten sich die Zeilen in Spiegelschrift auf das Papier.»
«Und wie kam das zu Alma?»
«Das weiß ich auch nicht. Das ist jetzt doch einerlei. Vielleicht hat er ihr auf der anderen Hälfte eine Botschaft zugesteckt, wer weiß?»
«Oder sie hat es nur irgendwo gefunden.»
«Auf keinen Fall. So teures Papier liegt nirgendwo herum. Manchmal glaube ich, Ihr denkt zu viel und dabei zu wenig geradeaus.»
«Seht mich nicht so grimmig an, Wagner, es mag sein, Ihr habt damit Recht. Ihn in London zu suchen, scheint mir vernünftig. Dies ist die Stadt der bedeutendsten Assekuradeure. In deren Fahrwasser wird es auch solche geben, die trübe Geschäfte machen. Trotz alledem gibt es keinen Beweis, dass er am Abend des Mordes in der Boehlich’schen Druckerei war.»
«Nein, keine Beweise.» Wagner rutschte unruhig auf seinem Hocker herum, blieb endlich auf der vorderen Kante sitzen und schob mit dem Zeigefinger drei dunkelbraune Zuckerkrümel zusammen. «Aber einen
Hin
weis. Leider habe ich ihn nicht beachtet, ja. Tatsächlich hat jemand einen Mann, auf den die Beschreibung wieder mal passt, im Valentinskamp bei der Druckerei und sogar durch das Tor verschwinden gesehen, in der Sonntagnacht. Ich habe das nicht beachtet, leider, weil dieser Mensch alle Tage in der Fronerei steht, voll von Fusel, und behauptet, dies gesehen, jenes gehört zu haben. Es stimmt nie, aber diesmal – ein schwerer Fehler. Ja, sehr schwer.»
«Findet Ihr? Was wäre anders, wenn Ihr die Schnapsnase ernst genommen hättet? Gar nichts. Was der Mann gesehen hat, bedeutet doch nur, dass Eure Vermutung richtig ist. Der Betrüger, mit dem Alma davongelaufen ist, ist auch Kloths Mörder. Jedenfalls ziemlich sicher. Wenn in dieser vertrakten Angelegenheit überhaupt etwas sicher ist.»
«Trotzdem», sagte Wagner, «ich hätte begreifen müssen, dass es zwischen dem Mann, den ich suchen soll, und dem Mörder des Faktors
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