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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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bisher größtes Werk, einen großen Hund aus italienischem Marmor, den das wochenlange jauchige Schlammbad mit der nötigen Patina des Alters versehen hatte, zärtlich zu waschen begann, als sei es sein erstgeborenes Kind.
    ***
    «Und nun?», fragte Rosina. «Was wollt Ihr nun tun?»
    Wagner schob die halb leere Schüssel mit der Frühstücksgrütze zur Seite, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, legte schnaufend das Kinn auf die geballten Fäuste und sagte: «Nun ja.»
    «Wir stecken in einer Sackgasse, Wagner, in einer Straße, die vor einer Wand endet. Wollt Ihr etwa dort stehen bleiben und die Steine anstarren?»
    «Doch», knurrte Wagner, «am liebsten würde ich das tun. In dieser Stadt bleibt mir kaum anderes übrig, ich weiß einfach nicht, wo ich ihn hier suchen soll. Verstehtdoch: Für gewöhnlich findet man einen Dieb wie einen Totschläger nicht weit von dem Ort seiner Untat. Irgendjemand weiß immer etwas, und mit Glück hat sogar einer was gesehen. Hamburg ist weit, in der Half Moon Street hat keiner was gesehen, und der Kerl, der da mit Alma gewohnt oder ihr auch nur das Zimmer gemietet hat, ist längst von dort verschwunden. Wo soll ich jetzt suchen? Wen soll ich nach ihm fragen?»
    Rosina seufzte. Leider hatte Wagner Recht, und ihre Ungeduld war wieder einmal voreilig gewesen.
    «Wenn ich Euch gestern auf dem Heimweg richtig verstanden habe», sagte sie, «nehmt Ihr an, er werde sein betrügerisches Geschäft hier weiter betreiben. Warum befragt Ihr nicht die Londoner Assekuradeure? Vielleicht kennt ihn einer von ihnen.»
    «Das würde ihn nur warnen. Aber es ist auch nicht wahrscheinlich, seine Geschäfte sind gegen das Gesetz, ja, und solche Geschäfte betreibt man nicht bei ehrbaren Kaufleuten. Außerdem», er räusperte sich umständlich und rieb sich müde die Augen, «der Senator wünscht nicht, dass man hier davon erfährt, bevor die Sache bereinigt ist. Das schadet den Hamburger Geschäften, wie ich schon sagte. Wo ein fauler Apfel ist, traut man den übrigen auch nicht mehr, seien sie noch so glänzend.»
    «Das müsst Ihr mir erklären, Wagner, ich verstehe von Assekuranzen so wenig wie von der Schifffahrt.»
    Die Assekuradeure, erfuhr Rosina nun, hatten, schon bald nachdem sie ihre Geschäfte aufnahmen, mit Betrügern Malaisen gehabt. Um in Seenot geratene Schiffe vor dem Untergang zu bewahren, konnte es vorkommen, dass die Besatzung Teile der Ladung über Bord werfen musste – auch dieser Verlust war Bestandteil der Seeversicherungen– und nahezu unmöglich zu überprüfen. Wie viel Ladung vermeintlich zur Rettung des Schiffes über Bord ging, in Wahrheit aber von den Schiffsführern für die eigene und die Tasche ihrer Mannschaften verkauft wurde, wusste niemand. Und einige Kapitäne und deren erste Leute – zweifellos im Bunde mit den Schiffseignern – ließen ihre Schiffe absichtlich havarieren.
    «Vor allem vor den skandinavischen Küsten, wo nahe dem Land viele Klippen sind, haben sie Schiffe auflaufen lassen, wahrscheinlich machen sie es an den tückischen Abschnitten der englischen Küsten nicht anders. Die Assekuradeure mussten die Reparatur und die vom eindringenden Wasser verdorbene Fracht bezahlen. Keiner kann ganz genau prüfen, ob da wirklich nur repariert oder das ganze Schiff überholt wurde und was tatsächlich verdorben war. Das ist schon schlimm genug, aber unser Betrüger», Wagner zerrte an seiner Halsbinde, bis sie sich endlich löste, und fuhr fort: «der hat sich in Glückstadt, in Stade, Lübeck und wohl auch in Emden, das war bei unserer Abreise noch nicht gewiss, als Vertreter der Hamburger Assekuradeure vorgestellt und Schiffe und Ladungen versichert. Er hat ordentliche Policen vorgelegt, wie sie in Hamburg üblich sind, und eine gesiegelte Bestätigung unseres Senats. Das Siegel war natürlich gefälscht, was aber keiner bemerkte. Ja, und dann verschwanden die Schiffe mitsamt ihrer Fracht – und als die Eigner ihre Entschädigung forderten, war niemand da, von dem sie sie einfordern konnten. Die Assekuranz, die auf der Police angegeben war, gab es ebenso wenig wie die Wohnung, die als Anschrift genannt war. Sie haben sich schließlich an die Assekuradeure gewandt, und so kam die Nachricht schnell auch ins Rathaus.»
    «Aber wo sind die Schiffe geblieben? Und vor allem: die Mannschaften?»
    Wagner zuckte mit den Achseln. «Auf den Meeren gehen oft Schiffe verloren, sehr viele sogar. Aber diese wurden irgendwo entladen, die Fracht verkauft – das machte

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