Die englische Episode
Johnson mit einigenseiner Freunde. Der Herr mit der Brille ist Thomas Davies, der Buchhändler aus der Russel Street, vielleicht wart Ihr schon mal in seinem Laden? Er und seine Frau kennen alle Literaten der Stadt. Früher waren sie Schauspieler. Johnson und Davies sind auch mit Mr. Reynolds und Mr. Garrick sehr vertraut. Selbst der König hat Dr. Johnson einmal eingeladen und lange mit ihm geplaudert, obwohl es heißt, der halte nicht viel von Königen und tue das gerne kund. Trotzdem bekommt er vom Hof eine jährliche Pension. Seither hat er ein sorgenfreies Leben.»
«Warum eine Pension? Was ist an ihm so besonders? Er sieht aus wie ein sauertöpfischer Advokat.»
«Das dürft Ihr ihn niemals hören lassen, Mademoiselle Hardenstein, zumindest in England ist er eine Berühmtheit und empfindet sich selbst als eine noch bedeutendere. Er ist Schriftsteller und hat vor Jahren das Wörterbuch der englischen Sprache geschrieben. Ein immenses und verdienstvolles Werk, dem er seinen hervorragenden Ruf in erster Linie verdankt. Vor fünf Jahren hat er Mr. Shakespeares Werke neu herausgegeben, wofür Mr. Garrick ihm tief verbunden ist. Ihr solltet Dr. Johnson erleben, wenn er im
St. Paul’s Kaffeehaus
oder in der
Turk’s Head Tavern
Hof hält! Zum Beispiel, als er sich mit Dr. Fordyce über Macphersons fragwürdige Fingal- und Ossian-Dichtungen stritt! Ich hörte das zufällig in der Taverne, seine Zunge zeigte sich als wahres Florett. Er hat überhaupt zu allem etwas zu sagen, was er auch unerbittlich tut, und putzt jeden Widerspruch vom Tisch wie eine Schankmagd Bierlachen. Selbst sein Humor kann giftig sein wie Fingerhut. Trotzdem hat er eine Armee von Verehrern. Aber es heißt, dass er seit dem Tod seiner Frau nur seine Katzen wirklich liebt.»
«Und ‹La Galli›?», fragte Helena, die sich wenig für Wörterbücher verfassende dicke Herren von giftigem Humor interessierte. «Ist sie auch hier? Ich möchte sie zu gerne sehen.»
Von der eher berüchtigten als berühmten italienischen Aktrice hatte Hebbel noch nichts gehört.
«Aber alle sprechen doch von der Versteigerung. Wie kann es sein, dass Ihr nichts davon wisst?»
Die einst gefeierte italienische Opernsängerin Caterina Galli, erklärte ihm Helena, galt seit etlichen Jahren als eine der kostspieligsten Courtisanen Londons. Nachdem sie von ihrem letzten Liebhaber, Graf Musin-Puschkin, dem Botschafter der Zarin am englischen Hof, kurz bevor sie ihn ruinierte, vor die Tür gesetzt worden war, hatte sie eine empörende Idee, die sie sogleich in die Tat umsetzte. Vor wenigen Tagen erst hatte die so verschwenderische wie begehrenswerte Dame sich von ihrem treu sorgenden Ehemann in der
Shakespeare’s Head Tavern
versteigern lassen. Gewinner wurde ein bis dahin kaum bekannter Mr. Julian Howard. Mit dreihundert Pfund, so hatte Helena auf der Piazza gehört. Das klänge wohl viel, dafür könne man für ein ganzes Jahr ein herrschaftliches Haus an einem der vornehmen Squares mieten, die Spitzen für das Staatsbett der Königin allerdings hätten mehr als zehnmal so viel gekostet, und so seien dreihundert Pfund gleichzeitig viel und wenig. Für Leute wie ‹La Galli› eher wenig.
Die Wetten, wie lange der allgemein als bedauernswert empfundene Mr. Howard sie auszuhalten vermöchte und wann die nächste Versteigerung der Dame nötig würde, kletterten in der brodelnden Gerüchteküche um die Covent Garden Piazza ebenso rasch wie die vermutete Höhevon Howards Vermögen. Auch die Wetten um das baldige Ende der Karriere der Galli in einem der exklusiven Bordelle standen gut.
Hebbel lachte schallend. «Ihr glaubt doch nicht, dass ich Euch diese absurde Posse abkaufe, Madame Becker?», rief er, immer noch grinsend.
«Aber sie ist wahr. Es hat sogar in einer der Londoner Zeitungen gestanden. Natürlich nicht das von dem Bordell und den Wetten, das weiß ich von Mrs. Tottle, aber alles andere.»
Die Stimmen im Saal waren zu einem stetig auf und ab wogenden Summen geronnen, das nur von einigen lauten, zornigen Stimmen aus dem Foyer übertönt wurde.
«Die Pause muss gleich zu Ende sein, Rosina», sagte Helena. «Glaubst du, sie lassen mich hinter die Bühne zu Jean?»
«Wahrscheinlich nicht. Mr. Garrick hat dafür gesorgt, dass dem Publikum die Bühne und die Garderoben strikt versperrt bleiben, und für einen Versuch am Bühneneingang in der Russel Street ist es schon zu spät. Warum wartest du nicht einfach? Der Geist hat nun
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