Die englische Episode
machte ihr die lange beschwerliche Überfahrt wenig aus, obwohl das Schiff, für das sie sich in Philadelphia entscheiden mussten, nicht annähernd den Komfort bot wie Jules Braniffs elegante Brigg, mit der Anne Hamburg verlassen hatte.
Dass sie die komfortable
Queen of Greenwich
verpasst hatten, lag einzig an Annes Leidenschaft für die Elektrizität, ganz besonders für Mr. Franklins Erfindung eines Blitzableiters. Eine Marotte, die ihm nicht mehr als kapriziös schien. Dennoch hätte auch Claes gerne Mr. Franklins Bekanntschaft gemacht, allerdings aus völlig anderen Gründen. Franklin war weit über Philadelphia hinaus als ein weitsichtiger und äußerst unternehmender Gentleman (mit fröhlichen Trinkgewohnheiten) bekannt und galt schon seit Jahren als eine der wichtigsten Stimmen in den amerikanischen Kolonien.
Leider hielt er sich schon seit geraumer Zeit in London auf, und dass sich einer seiner Apostel, Herr eines ausgedehnten Landgutes drei Stunden von Philadelphia entfernt, anbot, Mrs. Herrmanns das Wunder der Ableitung eines Blitzes zu demonstrieren, gefiel ihm überhaupt nicht. Er sei mit solcherlei Experimenten völlig vertraut, erklärte ihr neuer Gastgeber eifrig, man müsse nur auf das nächste Gewitter warten und einen eigenszu diesem Zweck präparierten Drachen aufsteigen lassen.
Anne war begeistert. Ein solches Experiment würde sie reichlich dafür entschädigen, dass sie die Installation des Blitzableiters auf dem Turm der Hamburger Kirche St. Jakobi versäumt hatte. Claes hingegen war nicht begeistert. Als durch und durch vernünftiger Mensch fürchtete er Gewitter, die doch zu nichts nütze waren, als Feuer und Verheerung zu bringen. Wenn gleißende Blitze über tiefschwarze Himmel rasten, wenn die Donner über dem Land explodierten, verstand er – Vernunft hin oder her – den Glauben der Alten an heidnische Götter.
Dieses ganze Unternehmen hielt er für nichts als ein gefahrvolles Lotteriespiel. Aber er dachte an die Ermahnungen der klugen Augusta zur Rettung seiner Ehe, und auch wenn er argwöhnte, der charmante junge Herr wolle sich nur ein wenig länger in Annes Nähe und Interesse sonnen, fügte er sich willig in die Warterei. Zudem war Claes in großzügiger Stimmung. Die überall in den Kolonien spürbare Unruhe mochte die Engländer empören, einem Kaufmann vom Kontinent bedeutete sie die Verheißung zukünftiger lukrativer Geschäfte.
Das Gewitter ließ auf sich warten (hatte er es nicht gleich gewusst?), und schließlich gestand Anne zu, wenn sie ihr Schiff noch erreichen wollten, sei es höchste Zeit für die Kutsche nach Philadelphia. Und dann, sie waren kaum eine Stunde unterwegs, kam das Gewitter, auf das sie so lange gewartet hatten. Der Himmel öffnete alle Schleusen und im Handumdrehen wurde das Bächlein, dessen Furt sie auf der Herfahrt kaum wahrgenommen hatten, zum reißenden, unüberwindlichen Fluss. Als sie Philadelphia mit dreitägiger Verspätung erreichten, durchschnittdie
Queen of Greenwich
schon die Wellen der Delaware Bay, den weiten Atlantik voraus.
Claes hätte lieber auf ein besseres Schiff gewartet, doch da Anne es plötzlich sehr eilig hatte zurückzukehren, überredete er den Kapitän mit einem gehörigen Aufschlag auf den üblichen Preis, die unerwarteten Passagiere mitzunehmen. Der schien ihm ein seltsamer Vogel. Wozu wollte er wissen, ob Mr. Herrmanns etwas von der Seefahrt verstehe? Claes erklärte, er sei Kaufmann und verstehe nichts vom Setzen der Segel oder der Navigation, dafür umso mehr von der Ladung, jedenfalls sobald sie in seinen Speichern liege. Er wolle schließlich nicht als Maat anheuern, sondern nur für sich und seine Frau die Kajüte mieten.
Seine Fracht, erklärte der Kapitän, sei vor allem Tabak aus Virginia und Reis aus Carolina, aber die Luken seien verschlossen und blieben es auch bis nach London. Er habe sie schon in Baltimore an Bord genommen, nach Philadelphia sei er nur gekommen, um im Auftrag eines Londoner Kürschners einige Ballen Pelze abzuholen. Kostbare Fracht, für die sich jeder Umweg lohne. Doch nun müsse man ohne jede Verzögerung ablegen, wenn die Herrschaften dazu bereit seien, sich mit geringstem Komfort zu arrangieren, wolle er eine Ausnahme machen und sie mitnehmen.
Das mit dem geringsten Komfort stimmte. Die Mahlzeiten waren auf allen Schiffen bescheiden, doch so schlecht hatte Claes noch nie gegessen und so wenig Bedienung noch nie erfahren. Die Besatzung zählte nur zwölf Männer,
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