Die englische Episode
die mannshoch aus grobem Eisen geschmiedeten Kandelaber auf dem Vorplatz beleuchteten vor allem den Schanktisch mit den Fässern voller Bier, Branntwein oder Gin. Wer Wein vorzog, musste ihn selbst mitbringen, was etliche der besser gekleideten unter den Besuchern auch taten.
Rosina schob Florence zwischen sich und Titus, und so folgten sie ihm, der die Menge teilte, als sei sie ein zähes Gestrüpp, durch die schon gut gefüllte Scheune bis zur Arena.
Die erste Runde der Kämpfe war gerade vorüber, zwei Jungen wischten die letzten Reste von Blut und Kot auf.Am Schanktisch drängten sich die Männer, neue Wetten wurden abgeschlossen, die letzten Kämpfe diskutiert.
Florence blickte zu dem Korb hinauf, der auch heute mit kräftigen Seilen verzurrt über der Arena hing. Er war leer, und sie unterdrückte einen erleichterten Seufzer. Sie hatte den armen Mr. Webber nicht vergessen. Williams plötzliche Blässe, als sie bei der Soiree dieses Cockpit und Mrs. Kjellerup den Tod des Tuchhändlers zur Diskussion stellten, war schließlich der erste Anlass für ihren Ausflug an diesen Ort gewesen. Sie fröstelte in der stickigen Hitze, zog sich noch ein paar Locken über die Stirn und begann, sich nach William umzusehen.
Dass er heute Abend auf die Tothill Fields wollte, wusste sie von Molly, die es wiederum George abgerungen hatte (natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit und nur, weil er sie tief verehrte), der immer wusste, wo William sich aufhielt. Aber vielleicht war das ein Irrtum, dem George ebenso unterlag wie sie selbst. Wenn William auf Abwege geraten war, würde er das kaum seinem Kammerdiener anvertrauen, wenn der ihn auch noch so lange kannte und der Inbegriff diskreter Loyalität war.
Ihr Blick blieb bei zwei Frauen hängen, offensichtlich Mutter und Tochter, die mit geröteten Gesichtern auf der ersten Bankreihe saßen, und sich aus einem Korb mit fetter Wurst, Zwiebeln und dunklem Brot bedienten. Florence beobachtete voller Spannung, wie die Ältere mit ihrem nur noch spärlich mit Zähnen ausgestatteten Mund ein Stück von der Wurst biss, ohne auch nur für einen Moment ihr Schwatzen zu unterbrechen. Ein dicker Brocken verschwand in ihrem großzügigen Dekolleté, wurde mit fettigen Fingern wieder herausgefischt, in ihren Mund gesteckt und mit Bier hinuntergespült.
Ein ekliger, doch für Florence ungemein faszinierender Anblick. Sie begann, Vergnügen an diesem Ort zu finden, der ihr mehr als alles, was sie je gesehen hatte, einem Theater glich, und ertappte sich bei der Hoffnung, William werde nicht kommen. Mit ihm musste das Theater einer Realität weichen, die sie fürchtete.
«Könnt Ihr ihn schon entdecken?», fragte sie, zupfte Rosina am Ärmel und fügte spöttisch «Mr. Reichenbach» hinzu.
«Nein», sagte Rosina und warf Florence einen besorgten Blick zu. Die unter dem violett schimmernden Rouge geröteten Wangen, die glänzenden unruhigen Augen der jungen Lady gefielen ihr ganz und gar nicht. Erschreckte Blässe und schockiert niedergeschlagene Lider wären ihr lieber gewesen. Wenigstens auf Titus war Verlass. Sollte Florence auf leichtfertige Gedanken kommen, würden sein langer Arm und seine großen Fäuste sie schon zurückziehen. «Nein», wiederholte sie und ließ ihren Blick weiter suchend über die Gesichter gleiten, «auch seine Freunde nicht. Vielleicht sind wir zu früh gekommen.»
«Bestimmt nicht», versicherte Florence, «das Cockpit ist nur die erste Station bei ihren Abendvergnügungen. Danach warten die Theater und Kaffeehäuser. Oder die Clubs mit ihren Spieltischen», fügte sie hinzu, «William ist Mitglied bei
White’s
. Ich glaube, dort hat er auch Graf Alwitz kennen gelernt.»
Oder die türkischen Bäder und Bordelle von Covent Garden, dachte Rosina, und da endlich entdeckte sie Lord Wickenham. Er stand im Schatten der Galerie hinter der Arena, genau an der Stelle, an der die Seile für den Schuldnerkorb festgemacht waren, und nippte lustlos aneinem Bierkrug. Er unterhielt sich mit einem dicken Mann. Vor wenigen Minuten hatte er dort noch nicht gestanden, er musste durch eine andere, für sie verborgene Tür hereingekommen sein.
Um mehr zu erkennen als die Köpfe und Schultern der beiden Männer, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals. Der dicke Mann versuchte William etwas zu geben, der wehrte ab, doch der andere ließ nicht locker. Als er endlich William etwas in die Rocktasche schob, zog der es ärgerlich wieder heraus, gab es
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