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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Gruppe fiel ihr auf, eigentlich keine Gruppe, eher eine lockere Reihe von Menschen, die aus der Dunkelheit des hinteren Hofes, jedenfalls von der Rückseite der Scheune aus den Pfad über die Wiesen einschlugen. Rosina sah ihnen nach, die meisten waren Frauen und halbwüchsige Kinder, alle auffallend wohlgenährt und die Frauen und Mädchen in weit ausladenden Röcken. Irgendetwas war da befremdlich, doch abgesehen davon, dass es überhaupt befremdlich war, an diesem Ort so viele Frauen und Kinder anzutreffen, fiel ihr nichts ein, was es sein könnte. Vielleicht befand sich hinter der Scheune eine Manufaktur, es gab viele, in denen vor allem Frauen und Kinder mit ihren flinkeren, gewandteren Fingern beschäftigt wurden. Und – nicht zu vergessen – den billigeren Löhnen.
    Sie stand im Schatten der Scheune, niemand beachtete sie, und so glitt sie an der Wand entlang und um die Ecke. Hier war kein Mensch, sie hörte die Stimmen aus dem Rund um die Arena, fühlte den Abendwind, roch den warmen Dunst eines Pferdestalles, irgendwo in den hinteren Gebäuden jaulte aufgeregt eine tiefe Hundestimme auf. Sie dachte an den Bullterrier und hoffte, dass das dazugehörige Tier noch in einem gut versperrten Käfig hockte.
    Vorsichtig lugte sie um die nächste Ecke der Scheune und blickte endlich in den hinteren Hof. Auch hier war es stockdunkel, der matte Lichtschein aus zwei kleinen Fenstern ließ immerhin Konturen erkennen. Dass die Schuppenfenster, dazu bei einem so ärmlichen Anwesen, verglast waren, war mehr als ungewöhnlich. Der Besitzer des Cockpits musste wahrhaft gute Einnahmen machen.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und bis die herausstrebendenbeiden Frauen ihr den Blick versperrten und eine unsichtbare Hand die Tür rasch wieder zuzog, sah sie einen knochigen Mann und ein Mädchen, das unter seinem hochgerafften Rock ein Gebilde aus festem Stoff mit vielen aufgenähten Taschen zeigte, in die jemand, Rosina sah nur einen gebeugten dunklen Rücken, etwas hineinzustopfen schien.
    Eine etwas eigenwillige Art der Verteilung milder Gaben fand hier bestimmt nicht statt. Was es bedeutete, begriff sie erst, als die beiden Frauen breit und behäbig auf der anderen Seite der Scheune hinter den Eichen in die Dunkelheit watschelten. Sie waren nicht wohlgenährt. Die Tuche, mit denen sie unter ihren einfachen Kleidern umwickelt waren, die in ihre Röcke eingenähten, gefüllten Beutel ließen sie nur dick und ihren Gang schwerfällig erscheinen. An diesem dunklen Ort wurde Schmuggelware von der Küste umgeladen und verteilt. An ihren Körpern trugen sie chinesischen Tee, flandrische Spitze, französische Seiden und Galanteriewaren oder bescheidene Portionen holländischen Genever zu Kleinhändlern. Größere Lieferungen konnten sie kaum bewältigen.
    Rosina presste sich an die Scheunenwand und hielt lauschend den Atem an. Es wäre gar nicht gut, wenn sie jemand erwischte, während sie dem illegalen Treiben zusah.
    Auch in Hamburg versuchten Bäuerinnen und Kleinhändlerinnen in versteckten Taschen ihrer Röcke unverzollte Ware in die Stadt zu schmuggeln, die sie dort teurer verkaufen konnten als in Altona oder den umliegenden Dörfern. In Hamburg mit seinen unüberwindlichen Festungsmauern und den scharf kontrollierenden Wachen an den Stadttoren standen ihre Chancen schlecht, Londonhingegen war schon lange eine offene Stadt. Und dass der Schmuggel an den Küsten der großen Insel, besonders im Süden und Südwesten, ein immenses Geschäft war, wusste jeder im Königreich.
    Was hier geschah, wirkte wenig heimlich, sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Fenster richtig zu verhängen. Dabei warteten nur einige Schritte entfernt mindestens hundert Männer müßig auf den nächsten Kampf, zweifellos standen einige unter ihnen König und Parlament nahe.
    Bevor der nächste Lastträger in die Dunkelheit und auf seinen heimlichen Weg geschickt wurde, flitzte sie über den Hof und duckte sich unter das Fenster. Titus würde schon nach ihr Ausschau halten, aber ein oder zwei Minuten mehr würden ihn kaum unruhiger werden lassen. Sie hörte Stimmen aus dem Schuppen, doch zu leise, um die Worte und deren Sinn zu verstehen. Das Jaulen des Hundes hatte aufgehört – ob das ein gutes Zeichen war, war allerdings fraglich. Andererseits wurde er vielleicht gerade zur Scheune geführt, dann begann gleich der nächste Kampf und damit das anfeuernde Grölen der Menge um die Arena. Es würde jedes Geräusch, das sie verursachte,

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