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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihr auf der Bank nicht nur erzählthatte, für welchen Ort sie diesen Mangel an Talenten beheben wollte, sondern auch, warum sie dort hingehen wollte und was sie herauszufinden hoffte. Beides war für Rosina keine Überraschung, doch es gab keinen Grund, das zu erwähnen.
    «Ich bin ganz sicher, dass William in schlechte Gesellschaft geraten ist und dass sich diese Männer dort treffen», erklärte Lady Florence. «Er ist nämlich oft in diesem Cockpit und sicher nicht, weil er so gerne zusieht, wie sich Hunde zerfleischen. Er liebt Hunde, die Kämpfe dort können ihm kein Vergnügen sein. Deshalb will ich endlich wissen, was er dort tut. Und warum.»
    «Und dann?», fragte Rosina skeptisch. «Was Ihr dort erleben oder herausfinden werdet, wird Euch kaum gefallen, egal, was es ist. Im besten Fall trifft er sich nur mit Freunden, die Hunde nicht ganz so gern haben wie er, und trinkt zu viel und wettet zu hoch.» Sie fand es nicht nötig zu erwähnen, das er möglicherweise die Gesellschaft von Damen suchte, die ohne Gouvernante und Anstandsunterricht erzogen worden waren. «Was wollt Ihr dann tun? Euren Vater seine Schulden bezahlen lassen und auf seine Dankbarkeit hoffen? Ihr könntet genau das Gegenteil erreichen.»
    Die harten Worte schreckten Florence nicht. «Aber deshalb doch die ganze Maskerade. Er darf nie erfahren, das ich dort war. Nie. Schulden wären meinem Vater egal. William kann kaum welche machen, die die Cutlers ruinieren könnten. Aber wenn nicht irgendjemand etwas unternimmt, wird er sich selbst ruinieren, seinen dummen Stolz, seine Ehre, die kann niemand für ihn kaufen. Im Übrigen», sie richtete sich zu ihrer ganzen kleinen Größe auf, «im Übrigen glaube ich nicht, dass es nur umSpiel- oder Wettschulden geht. Ach, es ist egal. Ich muss einfach wissen, was dort vorgeht, sonst werde ich verrückt. Könnt Ihr mir nun zeigen, wie eine Frau sich an einem solchen Ort unauffällig verhält, oder nicht?»
    Rosina nickte. Offenbar hatte Florence keine Ahnung, um welche Summen in London gespielt wurde. Doch dann hatte sie den viel besseren Vorschlag von dem gemeinsamen Besuch des Cockpits gemacht.
    Rosina befürchtete, sie könnten zu früh ankommen und das Cockpit noch nicht voll genug sein, um unauffällig in der Menge unterzutauchen. Doch auf dem Hof des Anwesens – ein Wohnhaus, kaum mehr als eine Kate aus altem Fachwerk, eine Scheune und einige angebaute Schuppen – standen schon eine ganze Reihe von Kutschen und Fuhrwerken. An einer Stange warteten Reitpferde, vom eleganten Vollblut bis zum breiten Ackergaul, auf ihre Herren. Kleine Gruppen von Männern standen herum und schwatzten, lange Tonpfeifen oder Bierkrüge in den Händen. Niemand fand die drei Neuankömmlinge mehr als einen kurzen Blick wert, nicht einmal die junge Frau, die als Letzte aus der Droschke stieg und sich durch das Gekräusel ihrer Locken mit verstohlener Neugier umsah.
    Aus der Scheune drang fröhliches Lärmen und wies ihnen den richtigen Weg. Ihr großes Tor war verschlossen, doch die schmale Seitentür, einst Zugang zu den Verschlägen für Schweine und Kleinvieh, stand weit offen. Titus griff nach Rosinas Arm, zog sie sacht zurück und schob sich als Erster hindurch.
    Was einmal eine ganz normale, einfach gebaute Scheune mit einem fest gestampften Lehmboden gewesen war, glich nun einem bescheidenen Amphitheater. Um dienicht ganz runde, durch eine hölzerne Brüstung gesicherte Arena verlief ein etwa zehn Fuß breiter freier Streifen. Dahinter stiegen in etwa drei Viertel des Runds drei grob gezimmerte Ränge auf. Eine Galerie war nur an der Stirnwand angebracht, so kurz unter dem niedrigen Dach, dass sich jeder, der mehr als fünfeinhalb Fuß maß, dort mit eingezogenem Kopf bewegen musste, wollte er nicht Bekanntschaft mit der Härte dicker alter Balken machen.
    In die Längswände waren kurz unter dem Dach einige fensterähnliche Löcher geschnitten. Sie nützten nicht viel, die Luft war dick und heiß, der Gestank nach Staub, Schweiß, Kot und Blut überlagerte den schalen Geruch von Bier und Pfeifenrauch. Am Tag mochten die Löcher auch Licht spenden, doch die Sonne war gerade untergegangen und es dunkelte rasch. Über der Arena hing ein einem Wagenrad nachempfundener, reichlich mit Kerzen bestückter Kronleuchter, der allerdings nur in seiner Funktion den Lüstern in den Salons und Theatern glich.
    Auch auf den Rängen, sogar auf der Galerie, gaben einige billige, nach Talg und Ruß riechende Kerzen mattes Licht;

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