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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zurück und zeigte unwirsch mit den Kinn in die Dunkelheit hinter sich. Der andere zuckte mit den Schultern, wandte sein Gesicht der Arena zu und Rosina erkannte Mr.   Dibber. Was er nun wieder in seinen Händen hielt, war ein kleiner Beutel, wie man ihn für Münzen verwendete. Woher kannte ein Mann wie Lord Wickenham den Wirt des
King’s Belly
in der Half Moon Street? Und warum versuchte der ihm Geld aufzudrängen? Wofür?
    «Habt Ihr etwas entdeckt?», fragte Florence.
    «Nein», log Rosina. «Das dachte ich, aber ich habe mich geirrt.»
    «Aber dort, seht Ihr?» Florence zeigte aufgeregt zur oberen Reihe der Bänke auf der rechten Seite hinauf, «da sitzt Graf Dagenskøld. Neben Mr.   West, dem Maler aus den amerikanischen Kolonien. Er ist ein Freund des Königs, obwohl er ein Quäker ist. Seht Ihr ihn?»
    Rosina hatte keine Ahnung, wer Mr.   West war und schon gar nicht, wie er aussah. Aber sie erkannte Dagenskøld neben einem etwa dreißigjährigen, sehr schlanken Mann im mauvefarbenen Seidenrock und makellos gepuderter Perücke, dessen perfekte, gleichwohl unaufdringliche Eleganz den jungen Dänen wie einen unerfahrenenLandjunker erscheinen ließ. Und dann, auf der Galerie direkt über West und Dagenskøld, entdeckte sie ein anderes vertrautes Gesicht. Magnus Vinstedt lehnte auf der Brüstung und blickte auf die Menge hinunter. Einen kleinen Moment lang trafen sich ihre Blicke und sie glaubte ein Erkennen in seinen Augen zu sehen. Aber das war in diesem diffusen Licht unmöglich, nur wer sie gut kannte und ihre Kostümierung erwartete, erkannte sie mit der männlichen Verkleidung. Oder wer über einen so schnellen Blick verfügte wie Wagner. Der hatte sie vor einigen Jahren selbst als den vermeintlichen Schreiber Mylau, mollig und mit rot gefärbtem Haar, die vollen Lippen blass und schmal, die Wangen hohl geschminkt, sofort erkannt.
    Rasch glitten ihre Augen weiter. Wagner war den ganzen Nachmittag nicht zurückgekehrt, so hatte sie ihm von ihrem Cockpit-Plan nichts erzählen können. Sicher hätte er sie begleitet. Doch wenn Vinstedt hier war, den Wagner doch suchen musste, war er womöglich auch hier?
    Sie blickte zu William zurück, gerade als Dibber hinter ihm in der Dunkelheit verschwand. Dort musste noch eine Tür sein. Ein rascher Blick auf die Galerie zeigte ihr, dass Vinstedt auch nicht mehr an der Brüstung stand. Dagenskøld hingegen hockte noch auf der Bankreihe darunter, zu ihm und seinem Begleiter hatten sich einige andere, ebenfalls teuer gekleidete junge Männer gesellt, sie alle schienen sich gut zu unterhalten, keiner sah in die Arena hinunter.
    Wo blieb Bendix Hebbel? Muto hatte ihm den Brief selbst übergeben, aber wenn er nicht kam, war das ganze Unternehmen vergeblich.
    «Titus?» Sie zupfte ihn am Ärmel und neigte sich nahezu seinem Ohr. «Ich sehe mich mal auf dem Vorplatz um. Vielleicht wartet Hebbel draußen», fügte sie rasch hinzu, als seine Brauen sich unwillig hoben. Sie sei gleich zurück, erklärte sie Florence rasch, sie möge sich unbedingt an Titus halten.
    «Setz besser deinen Hut auf», mahnte Titus. «Der ist zwar seltsam, aber das wird die Leute weniger stören, als wenn sie deine Maskerade durchschauen.»
    Vor der Scheune standen immer noch etliche Männer herum, die meisten scharten sich bei der Eiche um einen der Hundebesitzer und fachsimpelten über die Qualitäten des an einem kurzen Riemen gehaltenen goldbraunen Mastiffs. Die breiten Stirnfalten in dem dunklen Gesicht des Tieres, der lederne Maulkorb über dem kurzen breiten Fang ließen ihn weniger gefährlich als traurig erscheinen. Als einer der Männer ihn mutig hinter den Ohren kraulte, wedelte er dankbar und lehnte sich vertraulich an seinen Herrn. Rosina würde nie begreifen, wie jemand ein Tier freundlich begrüßen konnte, nur um sich gleich darauf an seinem Todeskampf zu begeistern. Sein Kontrahent, so hatte sie in der Scheune gehört, war heute Nacht ein Bullterrier, ein kampferprobtes, bisher immer siegreiches Tier.
    Sie drückte die breite weiche Krempe ihres Hutes tiefer in die Stirn und versuchte in der Dunkelheit die Gesichter der Männer zu erkennen. Mit wenig Erfolg. Trotzdem glaubte sie nicht, dass Hebbel unter ihnen war. Ganz sicher würde er sie in der Scheune nahe dem Schanktisch suchen, so wie sie es für den Fall, dass sie einander versäumten, vorgeschlagen hatte.
    Es war weit von der Ave Maria Lane zu den Tothill Fields, vielleicht hatte er die Wegstrecke unterschätzt.Eine andere

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