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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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übertönen.
    Sie wagte einen Blick durch die trübe Scheibe. Es warteten nur noch wenige auf die Ware, die ihnen von zwei Männern zugeteilt wurde, ein dritter hockte mit Feder, Tintenfass und Papier an einem roh gezimmerten Tisch, auf dem auch eine Waage stand, und notierte, was die Besitzer wechselte. Da war noch jemand, den sie im dunklen Hintergrund nur als Schatten wahrnahm. Der ausladende Bauch erinnerte an den Wirt des
King’s Belly
. Das passte perfekt. Suchte sie für ein Theaterstück denvertrauten Kunden und Komplizen von Schmugglern, wäre ein Mann wie Dibber die ideale Besetzung.
    Aber wie passte all das, wie passte Dibber zu Lord Wickenham? Plötzlich begriff sie, ein leiser Pfiff entfuhr ihr und sie legte rasch die Hand auf den Mund. Aber vielleicht erinnerte sie sich nur falsch, sie musste Florence noch einmal fragen. Womöglich war das schon die Lösung des Rätsels um William – die würde Florence allemal lieber sein als turmhohe Wettschulden, ein drohendes Duell oder gar eine andere Frau.
    Leichte Schritte bewegten sich von der Scheune zu der Kate, sie duckte sich gegen die Wand und zog ihren Hut vor das weiß leuchtende Leinen ihres Hemdes. Sie hatte dort kein Licht gesehen, aber da sie nur den vorderen Teil des Hauses sah, musste das nichts heißen. Die anderen Schuppen und Verschläge schienen ihr verlassen, so huschte sie um ein dickes Gebüsch zur Rückseite und fand dort doch ein erleuchtetes Fenster. Es war heller als die des Schuppens, das bedeutete mehr Kerzen oder Öllampen. Hinter der Kate erstreckte sich ein vernachlässigter, von einer struppigen Hecke umgebener Gemüsegarten. Kein anderes Haus oder Gehöft weit und breit, nichts als weites Feld in der Dunkelheit. Sie hoffte, dass dort draußen kein Sumpf lag. Sie hatte gerne festen Boden unter den Füßen, wenn die Lage misslich wurde und nichts als blinde Flucht erforderte.
    Auch wenn ihre Augen schon an die Finsternis gewöhnt waren, hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn gerade jetzt der Mond aufstiege, aber selbst wenn er seinen Lauf schon begonnen hatte, verbarg er sich noch hinter den Eichen auf der anderen Seite der Scheune.
    Wieder hörte sie gemurmelte Worte, sie schlich näherund drückte sich unter dem Fenster an die Wand. Die Nacht war warm, es stand einen guten Spaltbreit offen, und nun verstand sie beinahe alles, was gesprochen wurde. Sie unterschied zwei Stimmen, die eine von unterdrückter Heftigkeit, die andere kühl. Die Unterhaltung wurde in Deutsch geführt – sie war am Ziel. Und dort war sie ziemlich allein.
    «…   bodenlose Dummheit», sagte die kühle Stimme. «Du kannst froh sein, ein so gutes Versteck zu haben. Was glaubst du, wozu es da ist? Damit du dich bei der nächsten Gelegenheit auf ein Pferd setzt, nach London zurückreitest und ausgerechnet im Theater auftauchst, wo dich jeder sehen kann? Das ist egal», wies er einen murrenden Einwand der anderen Stimme zurück, den Rosina nicht verstanden hatte, «auch unter tausend Gesichtern kann dich jemand erkennen, gerade im Drury Lane, wo sich alles mögliche Volk herumtreibt. Warum nicht auch diese aufdringlichen pfälzischen Nachbarn aus der Half Moon Street? Verdammt», nun wurde auch die kühle Stimme grob, «wie konntest du so dumm sein, das Mädchen auch noch mitzubringen? War es nicht dumm genug, sich überhaupt mit ihr einzulassen?»
    Rasche, kurze Schritte bewegten sich auf das Fenster zu und Rosina hielt den Atem an.
    «Ich musste sie mitnehmen», hörte sie die heftige Stimme, die sie bisher nicht verstehen konnte, nun ganz deutlich – schrill und hastig. «Sie hätte mich verraten können, das habe ich dir doch erklärt. Dieser gierige Drucker   … als ich ihm sagte, dass er in dieser Nacht die letzten Policen für mich druckte, weil das Geschäft aus sei, hat er mehr Geld gefordert, er hat geglaubt, er hätte mich in der Hand und könnte mich bei der Wedde verpfeifen,der Idiot! Er hat mich bis zur Weißglut gereizt, und plötzlich lag er da. Ich kann nichts dafür. Und Alma, sie war zu Anfang ganz zahm. Ich mochte sie. Du hast hier ein ganz normales Leben, und von mir verlangst du, dass ich wie ein Mönch lebe.»
    «Und weil du sie so mochtest, konntest du deinen verdammten Jähzorn nicht im Zaum halten und musstest ihr ein Kissen aufs Gesicht drücken?»
    «Hört endlich auf», mischte sich eine ungeduldige dritte Stimme mit deutlich englischem Akzent ein. «Er verschwindet mit dem ersten Morgenlicht nach Sussex. In dem feuchten alten

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