Die englische Episode
nützen. Nie zuvor hatte sie so fest an Wunder geglaubt.
Titus wäre nicht Titus, wenn er nicht längst nach ihnen suchte. Aber was, wenn er die Männer fände? Er kannte keinen von ihnen, für ihn saßen da ein paar Gentlemen zusammen und unterhielten sich. Was sollte er sagen? ‹Entschuldigung, meine Herren, habt Ihr womöglicheinen jungen Mann im schwarzen Rock mit seltsamem Hut und eine junge Frau im billigen Kattunkleid gesehen?›
Selbst wenn er argwöhnte, was geschehen war – sie waren zu fünft, er war allein.
Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, immer im Kreis.
«Er hat unter dem Fenster gehockt», sagte Daniels, als er sie im Zimmer vor den anderen Männern auf den Boden fallen ließ, «er muss ’ne ganze Menge gehört haben.»
Die Männer sahen schweigend auf sie herab. Zwei von ihnen – den kleineren verriet die Kleidung als Seemann, der andere trug zur teuren Perücke einen Rock aus dunklem Tuch und passte eher in ein Kontor als hierher – hatte sie nie zuvor gesehen.
Der dritte stutzte und griff nach der Lampe. Er beugte sich zu ihr hinunter, hielt das Licht näher an ihr Gesicht und griff in ihr Haar. Er zerrieb den dunklen Puder zwischen den Fingern und musterte zufrieden das Ergebnis.
«Mein Kompliment, Mademoiselle Hardenstein», sagte Graf Alwitz und ignorierte die erstaunten Laute der anderen Männer. «Es ist wirklich schade, dass wir Euch nun nicht mehr auf der Bühne erleben werden. Eure Maske ist ziemlich überzeugend, solange man nicht zu genau hinsieht. Felix», wandte er sich an den vierten Mann, der bei Daniels’ Eintreten rasch in den Schatten zurückgewichen war, «hättest du gedacht, dass die reizende Mademoiselle Hardenstein, die bei Tisch so manierlich zu plaudern versteht, in Männerkleidern herumläuft und sich in Dinge einmischt, die sie absolut nichts angehen?»
Wilhelm Eschburg, auf der Soiree bei den Cutlers von Alwitz’ schüchterner Freund, wagte einen halben Schritt aus dem Schatten und sah auf Rosina hinunter. Das Licht der Lampe beleuchtete sein schreckensblasses Gesicht von unten und umschattete seine Augen schwarz wie bei einem dilettantisch geschminkten Gespenst.
«Felix?», stieß Rosina hervor und wischte sich voller Ekel die Berührung der fremden Hand von ihrem Mund. «Ihr seid Felix Landahl? Warum habt Ihr Alma umgebracht?»
Sie hatte Alma nicht gekannt, wahrscheinlich hätte sie sie nicht einmal gemocht, doch plötzlich fühlte sie sich dem toten Mädchen verbunden wie einer Schwester. Alwitz hob die Hand und Landahl schwieg.
«Das geht Euch gar nichts an», sagte Alwitz mit derselben kühlen Stimme, die sie schon durch das Fenster gehört hatte. «Ein bedauerlicher Vorfall, zugegeben, und sicher überflüssig. Sie war nicht mal annähernd so neugierig wie Ihr. Nur ein bisschen zu eitel, um geduldig im Verborgenen zu warten. Und Ihr?» Er hob die Lampe, leuchtete Florence ins Gesicht und schob ihr die Locken aus der Stirn. «Auch nicht schlecht, Lady Florence, aber doch erheblich schwächer. Ich hätte Euch einen besseren Geschmack zugetraut.»
«Was jetzt?», fragte Landahl. Seine Stimme klang unnatürlich hoch und auf seiner Stirn glänzte Schweiß. «Was tun wir jetzt?»
«Sei still.» Alwitz’ Befehl klang wie ein Schlag. «Jetzt werden Daniels und Perkins die beiden Damen nett verschnüren», fuhr er wieder in gewohnter Kühle fort, «und in der Kammer in Sicherheit bringen. Und damit Ihr auf keine überflüssigen Ideen kommt, Mademoiselle Hardenstein …»Er zog ein Taschentuch aus seinem Rock und band es ihr mit raschen, sicheren Bewegungen über den Mund. «Und Ihr, Lady Florence, werdet schön brav sein. Sollte Euch einfallen zu schreien, werdet Ihr leider zusehen müssen, wie Eure stumme Freundin dafür büßt. Ihr solltet das sehr ernst nehmen,
unser
Freund hier», er zeigte träge mit dem Kinn zu Daniels, «ist es gewöhnt, halb tote Hunde und Hähne abzustechen. Er wird sich auch bei anderen Geschöpfen keine Skrupel leisten.»
Es dauerte kaum zwei Minuten, bis sie gefesselt und in der Kammer angebunden waren.
«Es tut mir so Leid», flüsterte Florence in die Dunkelheit, «so schrecklich Leid. Ich habe William gesehen und dachte, er ist hier, und da …»
Dann sagte sie nichts mehr und Rosina wartete auf das leise Schluchzen, das nun folgen musste. Doch sie hörte nichts als einen schweren Seufzer und leises, ab und zu von verbissenem Schnaufen unterbrochenes Atmen.
Vielleicht lag es daran, dass hinter der Tür der
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