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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Augen gelauscht und kein Wort verstanden hatte. Sie wusste, dass Rosina noch jemanden erwartete, allerdings nicht, warum. Alles hatte Rosina ihr nicht verraten. Der Mann, den Hebbel wiedererkennen sollte, hatte schließlich nichts mit Florence’ Cockpit-Besuch zu tun. So begrüßte sie ihn höflich und wandte sich sofort wieder ihrer Suche nach William zu, ein mühsames Unterfangen, denn während der meisten Zeit sah sie außer der oberen Bankreihe und der Galerie nichts als breite Rücken. Selbst Dagenskøld, von dem sie gehofft hatte, dass er William vor ihr entdecken und lautstark begrüßen würde, hatte seinen Platz auf den Bänken verlassen.
    Die Sitzreihen waren nun wieder dicht gefüllt. Immer noch liefen Schankmägde auf und ab und füllten die letzten leeren Krüge und Becher, immer noch wurden Wetten abgeschlossen, doch die Hundekämpfe mussten nun bald beginnen. Während der letzten Tage war sie viel zu sehr mit William und ihrer wunderbaren Rolle als seine Retterin beschäftigt gewesen, um zu überlegen, was sie tun würde, wenn die Tiere in die Arena geführt wurden. Sie hatte sich das neue Glück ihrer Ehe ausgemalt. Der Gedanke an die einander zerfleischenden Hunde bereitete ihr Übelkeit, selbst wenn sie sich hinter Titus’ breitem Rücken verkroch, die Geräusche und Gerüche würden ihrer Phantasie genügen.
    «Miss?» Bendix Hebbel hielt ihr einen Krug Bier entgegen, den er für sie vom Schanktisch mitgebracht hatte, und sah sie freundlich auffordernd an. Er hatte keine Ahnung,wer die junge Frau war, die Titus nur als Miss Florence vorgestellt hatte, so wie es in der Droschke verabredet worden war.
    Erst jetzt spürte Florence, wie durstig sie war, und nahm den Krug dankbar entgegen. Titus und Bendix vertieften sich sogleich in ein Gespräch, bei dem zumeist Hebbel redete, ohne zu vergessen, die Augen suchend über die Gesichter gleiten zu lassen, und Titus zustimmend oder ablehnend brummte. Dabei vergaßen sie die Frau an ihrer Seite, wie es eben die Art der Männer ist, wenn sie wichtige Dinge erwägen wie die Qualität des englischen Biers, die Vorzüge alter Hunderassen oder die Wahrscheinlichkeit, ein wenig bekanntes Gesicht in einer solchen Menge zu finden.
    Als sie sich an Florence erinnerten, Titus glaubte später, es sei just in dem Moment gewesen, als der zweite Hund hereingeführt wurde, war sie verschwunden.
     
    Rosinas Kopf dröhnte und ihr Herz hämmerte. Sie war so wütend, dass sie ihre Angst kaum spürte. Wie hatte sie sich so ertappen lassen können! Dumm und unaufmerksam, als habe sie in solcherlei Dingen um kein Deut mehr Erfahrung als Florence. Die Fesseln um ihre Handgelenke und Knöchel waren viel zu fest, jeder Versuch, sie zu lockern, schien sie nur noch fester zusammenzuziehen.
    Sie hätte nicht schreien sollen, das war dumm gewesen, schon beim ersten Laut hatte der Mann, von dem sie nun wusste, dass er Jack Daniels, der Besitzer des Cockpits war, wieder seine große Hand auf ihren Mund gepresst. Es hatte ihm Spaß gemacht, sie festzuhalten, auch wenn er da noch nicht wusste, dass sie eine Frau war. Es wäre auch vergeblich gewesen, die nächsten Kämpfe begannenin der Scheune, da war niemand mehr, der im Hof oder auf dem Vorplatz in die Dunkelheit hinaus und auf Nachtigallen oder befremdliche Töne lauschte. Selbst wenn jemand einen Schrei hörte – an Orten wie diesem galt Weghören als eine der eigenen Gesundheit förderliche Tugend.
    Nun lag sie da, gefesselt und über dem Mund ein fest verknotetes Taschentuch, immerhin war es sauber und spitzengesäumt, zwischen Gerümpel und Feuerholz und konnte gar nichts tun. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, Titus möge in dieser Nacht besonders schlau sein und auf der Suche nach ihr und Florence nicht auch in die Falle gehen. Sie versuchte Florence’ Gesicht zu erkennen, doch es war zu dunkel, um mehr als einen hellen Fleck zu erkennen, und sie hatten sie nicht nebeneinander liegen lassen. Darauf hatte Rosina gehofft. Zwar waren ihre Handgelenke gefesselt, aber ihre Finger konnte sie bewegen, wenn sie nahe aneinander rücken könnten, wäre es ganz sicher möglich, die Knoten zu lösen und aus dem Fenster zu fliehen. Aber es ging nicht, die Männer waren nicht dumm und hatten sie zwei Schritte voneinander entfernt an dicke Balken gebunden. Da hockten sie wie zwei Schafe im letzten Stündlein vor dem Schlachthaus.
    Sie war am Ziel, wusste, was sie wissen musste, und wenn nicht ein Wunder geschah, würde es nichts mehr

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