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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Kasten ist er sicher, bis Daniels ein Schiff für ihn hat, und damit ist die Sache erledigt. Da draußen sind nur zwei uralte Diener, neugierigen Besuch gibt’s da schon lange nicht mehr. In London hat niemand eine Spur von ihm, und wegen einer unbekannten Toten in einer schäbigen Absteige macht sich sowieso keiner viel Mühe.»
    Sie war am Ziel. Was hier verhandelt wurde, war nicht nur Almas Tod. Sie wusste, wer in der Kate stritt, wenn auch nicht, welche Stimme zu welchem Gesicht gehörte. Sie erhob sich behutsam aus der Hocke, um einen Blick durch das Fenster zu wagen. Ihr linker Fuß war eingeschlafen, und als sie ihr Gewicht auf den anderen verlagerte, hörte sie einen dünnen Ast unter ihrem Schuh brechen. In der Stille der Nacht klang es in ihren Ohren wie ein Schuss, die Männer mussten es gehört haben. Aber bevor sie entscheiden konnte, ob es schon Zeit zur Flucht in die Scheune sei, sprach die Stimme schon weiter: «Und jetzt lasst uns über unsere Geschäfte reden. Ich möchte wissen, wie viel die letzte Ladung in der Chesapeake Bay gebracht hat.»
    Der letzte Satz war in Englisch gesprochen, und gerade als eine weitere Stimme, eine vierte in der gleichen Sprache, zu antworten begann, hörte Rosina, wie die Tür des Zimmers aufflog. Die Stimme brach ab und endlich traute sie sich, über das Fenstersims zu sehen. Was sie sah, glich einem Gemälde. Vier Männer standen bewegungslos und starrten die Frau an, die plötzlich mitten im Zimmer stand, Florence, bleich, mit gerötetem Gesicht und geweiteten Augen.
    Bevor Rosina auch nur darüber nachdenken konnte, was zu tun war, nämlich hineinlaufen, irgendetwas von ‹Du dummes betrunkenes Ding, man geht nicht einfach in fremde Häuser› rufen, Florence blitzschnell mit sich hinausziehen und laufen, laufen, laufen, fühlte sie eine Hand in ihrem Genick und eine zweite auf ihrem Mund. Der Bluthund, der sich groß wie ein Kalb vor ihr aufrichtete, seine breiten Pfoten auf ihre Schultern legte und ihr die nasse Nase gegen das Kinn drückte, ließ sie jeden Gedanken an Gegenwehr vergessen.
     
    Titus fühlte sich unbehaglich. Natürlich hatte er gewusst, dass Rosina ihn mit der Lady allein lassen würde, es hielt sie nie lange auf einem Fleck. Aber diese Lady war ihm unheimlich. Sie war zappelig wie ein Frosch und ständig flüsterte sie ihm etwas zu, das er nicht verstand, seine dünnen Kenntnisse der fremden Sprache wurden in diesem Lärm wahrhaft mager. Er hätte sich doch mehr Mühe bei Rosinas Unterricht geben sollen. Nicht, dass er je ein schwatzhafter Mensch gewesen wäre, aber bis auf ein freundliches Brummen ab und zu so ganz stumm zu bleiben, schien ihm äußerst ungalant. Wahrscheinlich hielt sie ihn schon für dumm.
    Immerhin hatte er ihr einen Dienst erweisen können, als ein aufdringlich riechender junger Mensch ihr frech die teuer beringte Hand unters Kinn legte und ein eindeutiges Angebot machte (in diesen Dingen war die Sprache in jedem Land gleich). Er war sicher, der Kerl würde es nicht noch einmal versuchen – ebenso wenig die Kerle, die das kleine Rencontre und das schmerzverzerrte Gesicht des Möchtegern-Galans beobachtet hatten. Ganz gegen Titus’ Erwartungen war die Lady nicht in Ohnmacht gefallen. Sie war nicht einmal blass geworden, hatte auch nicht auf die vorwitzigen Finger geschlagen, wie es sich gehört hätte, sondern nur errötend gekichert, was zweifellos an ihrer mangelnden Erfahrung mit solchen Orten und Attacken lag.
    Als jemand an seinem Ärmel zupfte, fuhr er wütend herum, doch er sah nur in das erschreckte Gesicht eines schmalen jungen Mannes.
    «Verzeihung», sagte der, «ich dachte nur, vielleicht seid Ihr Titus? Miss Hardenstein hat Euch beschrieben und ich habe Euch auch im Theater gesehen, aber nur flüchtig.»
    Er sah Titus forschend an und atmete erleichtert auf, als sich dessen unwillige Miene zu einem halbwegs freundlichen Grinsen verzog.
    «Hebbel?», fragte Titus. «Seid Ihr Hebbel? Na, endlich», sagte er, als der Drucker nickte. «Wir warten schon auf Euch.»
    «Der Weg ist länger, als ich dachte. Es war schon spät, als die Arbeit in der Druckerei getan war, und ich war dumm genug, keine Droschke zu nehmen. Ich wollte das Geld sparen. Wo ist Mademoiselle Hardenstein?»
    «Keine Ahnung. Sie schnappt ein bisschen frischeLuft, so nennt sie das. Ich kann die Lady nicht allein lassen, ich hab’s Rosina versprochen.»
    Er wandte sich zu Florence um, die dem kurzen Gespräch der beiden Männer mit neugierigen

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