Die englische Episode
Name Wickenham gefallen war. Dass die Männer sich nicht die geringste Mühe machten, leise zu sprechen. Das konnte nur Unheil bedeuten, aber darüber nachzudenken war später Zeit.
«Bestimmt nicht. Wickenham weiß auf keinen Fall, dass seine Lady hier ist», hörte sie von Alwitz sagen. «Er käme nicht mal auf den Gedanken, auch wenn sie neulich Abend so ein abstruses Interesse gezeigt hat. Du kannst sicher sein: Hätte er sie in der Scheune entdeckt, hätte er sie sofort weggebracht.»
«Ich habe dir gesagt, dass da was nicht stimmt.» Landahls Stimme klang immer noch schrill. «Die Hardenstein kam mir von Anfang an komisch vor. Ich bin ihr andem Abend nicht umsonst gefolgt, Gäste von Leuten wie die Cutlers wohnen nicht in der Henrietta Street. Aber du wolltest nicht hören, du …»
«Hör auf, Felix. Es ist zu spät, und wer sie ist, auch woher sie kommt, pfiffen schon am nächsten Tag die Spatzen von den Dächern. Wenn sie dir so gefährlich erschien, umso mehr, wenn du wusstest, dass sie vom Theater ist, wärst du erst recht besser auf Wickenham geblieben, anstatt in der Drury Lane aufzutauchen und dein Gesicht herumzuzeigen.»
«Mir reicht es jetzt.» Die Stimme mit dem englischen Akzent klang mehr als ärgerlich. «Was ihr mit den Frauen macht, ist eure Sache, damit will ich nichts zu tun haben. Wickenham macht auch so genug Schwierigkeiten, macht ihm klar, dass er nicht so einfach aussteigen kann, und wenn es nötig ist, erpresst ihn mit seiner Frau. Obwohl ich finde, dass das ein viel zu großes Risiko ist. Irgendein Mädchen aus dem Ausland in der Half Moon Street zum Schweigen zu bringen ist eine Sache, aber eine steinreiche englische Lady … Ohne mich. Und jetzt will ich endlich die Abrechnung sehen und wissen, auf welchen Banken die Erträge liegen. Es wird langsam zu heiß, selbst die Leute in Liverpool und Hull schließen ihre Assekuranzen inzwischen lieber über
Lloyd’s
ab als bei einem unbekannten Versicherer. Der ganze Ärger, den Landahls Geschäfte an den deutschen Küsten eingebracht haben, hat sich, verdammt nochmal, kaum gelohnt. Und jetzt das hier!»
Etwas Weiches berührte Rosinas Gesicht und sie zuckte erschreckt zurück. «Pssst», hörte sie Florence’ Stimme leise an ihrem Ohr. «Ich hab’s geschafft.» Eilige Hände tasteten an ihren Armen entlang, fanden die Fesselnan den Handgelenken, und mit leisem Fluchen versuchte Florence die Stricke um Rosinas Handgelenke hinter dem Balken zu lösen.
«Verflucht, sie sitzen viel fester als meine», murmelte sie angestrengt. «Ich schaffe es in der Dunkelheit nicht. Vielleicht finde ich hier ein Messer oder so etwas.»
«Nein», presste Rosina hinter ihrem Knebel hervor und schüttelte heftig mit dem Kopf, «die Dielen knarren. Macht weiter, es geht, ganz bestimmt. Einfach weitermachen.»
«Da ist jemand», flüsterte Florence plötzlich aufgeregt, «jemand war eben am Fenster, ich glaube, William. Es ist William, er holt uns hier raus, er gehört nicht zu denen, das kann gar nicht sein.»
Nichts hätte Rosina in diesem Moment lieber getan, als Florence den Mund zuzuhalten. Die Stimmen im vorderen Raum waren zu einem Murmeln herabgesunken, sicher saßen Alwitz, Landahl und ihre Kumpane über ihren Listen und Abrechnungen.
Aber da hörten sie etwas ganz anderes. Die Tür zum vorderen Zimmer wurde aufgestoßen, laute Stimmen flogen durcheinander, eine klang tatsächlich wie Wagners, was aber gewiss nicht sein konnte. Schwere Stiefel trampelten durch das Haus und eine dunkle Gestalt, die ganz nach Daniels aussah, rannte in die Kammer und zum Fenster. Doch bevor er es öffnen konnte, sprang Florence mit einem wütenden Schrei auf, griff das Nächste, das ihr in die Finger kam, trat ihm gegen ein Schienbein und schlug mit aller Kraft zu.
Sie hatte ein dickes Buchenscheit erwischt, Jack Daniels fiel zu Boden wie ein nasser Sack. Ein zweiter Mann betrat das Zimmer, wehrte mit schnellem Griff Florence’nicht mehr ganz so kräftigen Angriff ab und schob sie durch die Tür in das vordere Zimmer, in dem sich Männer in dunklen Röcken und roten Uniformen drängten, allen voran Titus und Wagner.
«Ob Ihr es glaubt oder nicht», sagte Magnus Vinstedt vergnügt, während er ein Messer hervorzog und begann, Rosinas Fesseln zu zerschneiden, «für ein oder zwei Tage habe ich Euch tatsächlich für Alma Severin gehalten. Ich bin sehr froh, dass Ihr es nicht seid. Wirklich sehr froh.»
Hamburg 1770 im August
KAPITEL 13
Der Platz unter
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