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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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der Robinie war Augusta an warmen Tagen wie heute der liebste. Der Blick über die tiefblaue Außenalster in der Nachmittagssonne, das Plätschern des kleinen Springbrunnens und all die anderen sanften Geräusche, die ein sommerlicher Garten bot, gaben ihr das Gefühl von heiterem Frieden. In diesem Sommer brauchte sie den mehr denn je. Die Endlichkeit des Lebens wurde ihr immer deutlicher bewusst, und jene Tage in London, bis endlich die erlösende Nachricht kam, waren eine Marter gewesen. Zuerst hatte Frederick Cutler sie davon überzeugt, dass kein Grund zur Sorge bestehe, nur weil die Herrmanns nicht auf der
Queen of Greenwich
gewesen waren. Doch als er dann die Nachricht brachte, bei Kap Lizard sei ein Schiff auf der Heimfahrt von Philadelphia untergegangen, halfen seine Beruhigungen nicht mehr. Erst drei Tage später hielt eine Kutsche am St.   James Square, und Anne und Claes standen vor der Tür. Ohne Gepäck, in billiger Kleidung, aber ganz und gar lebendig.
    Dass Claes beinahe ertrunken war, erzählten sie erst später, als herauskam, dass Perkins, der Kapitän, seine alte Bark absichtlich auf die Felsen gesteuert hatte. Die Ladung hatte er, noch vor Philadelphia, in einer der labyrinthischen Buchten der Chesapeake Bay gelöscht unddurch Ballast ersetzt, um die Assekuradeure doppelt zu betrügen.
    Die Gier des Kapitäns geriet den Herrmanns zum Glück. Seine Auftraggeber hätten es gewiss lieber gesehen, wenn er die beiden Zeugen mit dem Schiff hätte untergehen lassen, doch die Aussicht auf Dankbarkeit in klingender Münze ließ ihn anders handeln. Vielleicht auch, weil Anne ins Meer sprang, als Claes zu ertrinken drohte, und verzweifelt versuchte, ihn über Wasser zu halten. Weder Anne noch Claes konnten sich genau erinnern, wie sie wieder in das Boot gelangt waren. Es war ja noch Nacht gewesen, und auch bei der ruhigen See mussten sie neben den Matrosen, die sie ins Boot zogen, eine ganze Schar von Schutzengeln gehabt haben.
    Augusta sah zu der schmalen Gestalt im leichten schilfgrünen Musselinkleid am Ufer hinüber und fühlte eine Welle der Dankbarkeit. Annes Leben hatte in jener Nacht an einem genauso dünnen Faden gehangen wie Claes’. Sie war eine gute Schwimmerin, selten genug für eine Frau, ihre Chancen waren dennoch mehr als gering gewesen.
    «Siehst du ihn noch?», rief sie.
    Anne drehte sich um und nickte. «Aber ja», rief sie zurück, «dass er endlich schwimmen gelernt hat, hat ihm Gott sei Dank nicht die Liebe zur Ufernähe genommen.» Sie wandte sich wieder dem See zu, sah den Schwimmer mit dem hoch über das Wasser gereckten Kopf näher kommen und schlenderte zu Augusta unter die Robinie. «Ich glaube, er mag es nicht, wenn ich wie eine besorgte Entenmutter am Ufer stehe, sobald er seine Schwimmübungen macht.»
    «Wirklich? Ich bin sicher, er fände es auch nicht angenehm, wenn du dich gar nicht sorgtest.»
    Anne lächelte und schwieg. Sie sah ihren Mann nun schon nahe am Ufer und beneidete ihn. Bis sie, schon Mitte der dreißig, der Liebe wegen nach Hamburg kam, hatte sie ihr ganzes Leben auf der Insel Jersey verbracht. Auch dort galt es für eine Dame nicht gerade als gesittet, wenn sie wie ein Bauernkind im Meer schwamm. Aber hier war es ganz unmöglich, jedenfalls tagsüber. Umso mehr genoss sie ihre heimlichen Schwimmausflüge in den warmen Sommernächten, auch als Aufbegehren gegen das enge Korsett der hanseatischen Konvention.
    Sie setzte sich zu Augusta und seufzte wohlig. «Sieh mal», sagte sie und zeigte auf ihren Ehemann, der sich noch einmal in den See hinaustreiben ließ. «Er hat immer noch nicht genug.»
    Dann blickte sie über die lange, gedeckte Tafel im Halbschatten   – Blohm und Benni hatten alles, was im Herrmanns’schen Sommerhaus als Esstisch gelten konnte, herausgeschleppt und aneinander gestellt – und fragte halbherzig: «Denkst du, ich sollte Elsbeth helfen?»
    «Auf gar keinen Fall. Kennst du sie immer noch nicht genug, um zu wissen, dass sie zwar ein angemessenes Lob erwartet, aber Hilfe in ihrer Küche als unerhörte Einmischung empfindet?»
    «Ich liebe Claes wirklich», seufzte Anne, «aber sicher würde ich ihn weniger lieben, wenn Elsbeth nicht eine so wunderbare Köchin wäre und nicht nur seine Küche, sondern überhaupt den ganzen Haushalt regierte. Ich bin immer noch völlig ungeeignet für solche Dinge.»
    «
Euren
Haushalt, meine Liebe. Im Übrigen schätzt Elsbeth dich doppelt, weil du ihr nicht ins Handwerk pfuschst, und das weißt du

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