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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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haben den deutschen Grafen nicht in die stinkenden Höhlen zu den gewöhnlichen Gefangenen gesperrt. Wahrscheinlich wird er deportiert. Seine Frau ist jedenfalls wieder bei ihrer Familie in Amsterdam und will nichts mehr von ihm wissen.»
    Graf Alwitz war nicht der Kopf der Bande, die während der letzten Jahre ein gut organisiertes Netz bis über den Atlantik aufgebaut hatte. Mit der Verteilung von Schmuggelware von der Südküste hatte es angefangen, die Betrügereien der Versicherungen waren sozusagen die Ausweitung des Geschäftes bis auf den amerikanischen Kontinent. Die Idee, seinen alten Freund Felix Landahlmit einer Dependance an den norddeutschen Küsten zu betrauen, geriet zum Anfang vom Ende. Landahl war nicht kühl genug für solche Geschäfte, und ohne seine Morde an Kloth und Alma wäre es zweifellos noch geraume Zeit gut gegangen.
    «Und wer war nun der Kopf der Bande?», fragte Claes, dem unbegreiflich war, dass eine so unerhörte Schädigung des ehrbaren Handels nicht bis in die Wurzeln ausgerottet werden sollte.
    Rosina hob ratlos die Hände. «Die scheint vielfältig verzweigt. Der englische Kaufmann, der mit Alwitz, Landahl und Kapitän Perkins in der Kate geschnappt wurde, war zwar mit Alwitz so etwas wie die Londoner Zentrale, aber Richter Fielding glaubt, ein so weit reichendes, durchorganisiertes Geschäft habe mehrere Köpfe. Er glaubt auch, dass die nur abwarten, bis sich die Wogen geglättet haben, und sich etwas Neues einfallen lassen. Ob in London, Bristol, Baltimore, Philadelphia, auf den Westindischen Inseln oder sonst wo.»
    «Und Lord William?», erinnerte Anne, die dabei allerdings mehr an Florence dachte, die sie in London kennen und mögen gelernt hatte. «Als Mitglied des hohen Adels kann er nur vom Oberhaus abgeurteilt werden, und tatsächlich hat er doch gar nichts getan. Eigentlich.»
    «Wenn Ihr erlaubt, Madame Herrmanns», meldete sich Wagner zu Wort. Alle Gesichter wandten sich dem kleinen dicken Weddemeister zu, der sich sonst in einer solchen Runde mit Vorliebe unsichtbar machte. Annes Bemerkung musste sein Gerechtigkeitsempfinden tief getroffen haben. «Mit Verlaub, Madame, er hat sehr wohl, nun ja, etwas getan. Er hat den Keller von Schloss Wickenham und einen unterirdischen Gang als Zwischenlager fürdie Schmuggelware, nun ja, zur Verfügung gestellt. Das ist gegen das Gesetz. Außerdem   …»
    «Ach Wagner», rief Helena, schluckte schnell ein Stückchen der köstlichen Seezunge hinunter und fuhr fort: «Habt Ihr denn gar keinen Familiensinn? Er wollte mit dem Geld, das er dafür bekam, doch nur sein baufälliges Schloss retten. Er war es eben leid, immer das Geld von Mr.   Cutler nehmen zu müssen. Ich finde, Madame Herrmanns hat völlig Recht: Er hat eigentlich nichts getan. Außerdem wollte er nicht länger mitmachen, aber weil Schloss Wickenham für diese Geschäfte ein ideales Versteck ist, hat Alwitz ihn nicht losgelassen.»
    «Er wollte aber nur deshalb aufhören, weil er Angst bekommen hatte», wandte Jean ein, der ausnahmsweise, wahrscheinlich zum ersten Mal, mit Wagner einer Meinung war. «Nicht wegen der Schmuggelei, sondern weil er gesehen hat, wie einer der Söhne dieses schmuddeligen Cockpit-Besitzers das Seil durchschnitt und Mr.   Webber so den Hunden zum Fraß vorgeworfen wurde. Ich glaube, er hatte nur Angst um seinen eigenen Hals.»
    Während die Frage um William Wickenhams Angst ausführlich diskutiert wurde, goss Luise Boehlich noch ein wenig Kirschsoße über das letzte Stück Entenbrust auf ihrem Teller und bedauerte ein weiteres Mal, dass sie die Idee einer ihren schlaflosen Nächte nicht in die Tat umgesetzt hatte. Natürlich hätte sich die ganze Stadt darüber erregt, dennoch – sie hätte auch nach London reisen sollen. Nun würde sie niemals mehr in eine so wunderbar ungehörige Geschichte geraten. Aber diesen Gedanken verriet sie niemandem. Nicht einmal Bendix, als er endlich zu ihr zurückkehrte.
    «Außerdem», sagte Wagner gegen den nahezu ganzenRest der Gesellschaft, «macht die Sache mit Mr.   Webber es nur schlimmer. Er hat einen Mord gesehen und ihn nicht gemeldet.»
    «Jedenfalls», rief Rosina schnell, der die Debatte um Williams Ehrbarkeit längst fruchtlos erschien, «ist er nicht mehr in England.» Schlagartig wurde es still und alle, die die Geschichte noch nicht gehört hatten, sahen sie gespannt an. «Vor unserer Abfahrt habe ich Florence noch einmal getroffen. Sie hat erzählt, dass er zwar im Tower eingesperrt war,

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