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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Festes. Samt Feuerwerk. Er hoffte nur, dass die beiden ohne Claes’ flatterhafte Tochter zurückkehren würden. Bei aller Großzügigkeit und christlicher Nachsicht, in keinemehrbaren Hamburger Haus würde Sophie Sievers je wieder empfangen werden.
    «Lassen wir die Herrmanns’ mal beiseite», fuhr der Senator fort, «die haben mit dieser besonderen Sache nichts zu tun, obwohl Claes sich gerne in unsere Angelegenheiten mischt. Aber Mademoiselle Rosina. Eine männliche Freundin, sagt Ihr? Sie sieht zwar nicht so aus, aber es stimmt, sie hat einen männlichen Charakter: klarer Verstand, Beharrlichkeit, keine Sentimentalität. Und Mut, was?»
    «Unbedingt. Manchmal, wenn Ihr erlaubt, ein bisschen zu viel. Vom Mut, meine ich.» Wagner wurde immer unbehaglicher. Er hätte liebend gern sein großes blaues Tuch aus der Tasche gezogen und sich die Stirn gewischt, die seltsamen Ausführungen des Senators waren mehr als beunruhigend, jedoch erschien ihm eine so profane Geste als unschicklich. «Aber in dieser Angelegenheit», erklärte er rasch, «wird die Wedde allein ermitteln. Darauf könnt Ihr Euch verlassen. In den vergangenen Jahren gab es einige Fälle, in denen Mademoiselle Rosina hilfreich war, ja, und auch Madame und Monsieur Herrmanns, Ihr erinnert Euch gewiss. Aber nur, weil sie in die Abläufe verwickelt waren, sozusagen. Amtsgeschäfte bleiben Amtsgeschäfte. Mit dem Mord in der Druckerei Boehlich hat Mademoiselle Rosina nicht das Geringste zu tun.»
    «Ach ja, der Mord in der Druckerei. Daran habe ich gar nicht gedacht. Grabbe hat mir gestern Bericht erstattet. Die arme Frau, wirklich fatal, erst der Ehemann, dann der Faktor. Wisst Ihr schon, wer es war? Nein, natürlich nicht, es ist zu früh.»
    «Zu früh, ja. Man weiß auch nicht, was der Faktor mitten in der Nacht in der Druckerei gemacht hat. MadameBoehlich versichert, man könne ohne Licht nicht gut drucken, ich denke trotzdem, es geht zur Not auch bei einigen Kerzen oder einer passablen Tranlampe. Viel schwieriger ist das Setzen, dazu braucht man sicher besseres Licht. Andererseits, wenn die Buchstaben in den richtigen Fächern liegen   …»
    Er sah den verständnislosen und nicht sonderlich interessierten Blick des Senators und entschied, dass nun für die Feinheiten der Arbeit in einer Druckerei nicht der richtige Zeitpunkt war.
    «Die Lettern», fuhr er deshalb hastig fort, «lagen am Morgen nicht mehr in den Setzkästen, jemand hatte sie auf den Boden geworfen, allerdings, und das scheint mir bedenkenswert, recht ordentlich ausgekippt. Sicher nur, um keinen Lärm zu machen, aber warum hat er das überhaupt gemacht?»
    «Warum? Ihr macht Eure Arbeit lange genug, um zu wissen, dass Menschen gerne zerstören. Ganz ohne Warum. Womöglich fand er einfach Vergnügen bei der Vorstellung, dass irgendjemand mit dem Durcheinander viel Mühe haben wird.»
    «So könnte es gewesen sein. Ja. Möglicherweise.» Diese schlichte Erklärung befriedigte Wagner nicht. «Ich denke aber, er hatte noch mehr vor. Es sieht so aus, als ob er die Arbeit in der Druckerei aufhalten wollte. Lahmlegen, sozusagen. Der Eimer mit der Druckerschwärze stand auf dem Boden, nicht einmal bei der Presse, sondern bei den Lettern. Als habe er ihn darüber ausleeren wollen. Der Eimer steht nämlich normalerweise im Lager, im vorderen Raum des Hauses. Hätte er die Lettern mit der Druckerschwärze übergossen, hätte es noch länger gedauert, sie wieder brauchbar zu machen. Es sind Hunderte, wennnicht gar Tausende. Das hat er aber nicht getan. Der Eimer war fast voll, auch am Henkel und an den Rändern klebte Druckerschwärze, ich denke, er wollte sich nicht schmutzig machen. Die Farbe geht kaum aus den Kleidern, eine Wäscherin hätte das bemerkt und ihn verraten können.»
    «Dann muss er einen sehr kühlen und flinken Kopf haben. Oder es war viel einfacher. Er hat sich an den Pressen zu schaffen gemacht, vielleicht versucht, irgendetwas zu drucken, die Stadt ist ja voll von allen möglichen Pamphleten, die keine ordentliche Druckerei unter ihre Pressen schiebt. Aber die müssen doch irgendwo gedruckt werden, warum nicht heimlich in der Nacht? Warum nicht auch bei den Boehlichs, natürlich ohne Madame Boehlichs Wissen. Sie würde so etwas nie erlauben. Da hat also jemand gedruckt, der Faktor kam dazu und er wurde erschlagen. Du meine Güte, dann muss es aber ein wahrhaft teuflisches Papier gewesen sein, wenn jemand eher einen Mann erschlägt, als dafür bekannt zu werden.»
    Wagner

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