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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zentralen Platz ihre Grünware. Aber vom frommen Leben konnte keine Rede mehr sein. Covent Garden, der weite Platz und die ihn umgebenden Straßen und Höfe, gehörte zu den verrufensten und zugleich beliebtesten Vierteln der ganzen Stadt.
    Nirgendwo lebten Luxus und Elend, Kunst und Laster so nahe beieinander. Hier war das Zentrum der Bordelle wie der großen Theater, drängten sich Menschen in baufälligen Hinterhäusern, während sich auf den Straßen die Kutschen und Sänften der Reichen aus dem Westen der Stadt durch die Menge schoben. Besonders am frühen Abend, wenn die Marktleute die Reste ihrer Ware in Körbe und auf Karren packten, ihre hölzernen Buden an der Südseite des Platzes verschlossen und endlich die Theater ihre Pforten öffneten, mischten sich hier Menschen aller Stände. Sogar König George und Königin Charlotte zeigten sich hin und wieder in ihrer Loge im Drury Lane Theatre, obwohl die Königin den Besuch der Opern im eine halbe Meile entfernten King’s Theatre am Haymarket vorzog.
    Die Wohnung der Becker’schen Gesellschaft befand sich im zweiten Stock eines der gut erhaltenen Häuser in der Henrietta Street, die in diesem Viertel als gute Adresse galt. Ihre Wirtin, Mrs.   Tottle, war eine freundliche Frau, die nicht das Geringste gegen Komödianten einzuwenden hatte, nicht einmal, wenn sie vom Kontinent kamen.
    Sie waren Thomas Matthew, einem Londoner Kaufmann in Hamburg, dankbar gewesen, als er die Wohnung für sie reservieren ließ. Ein überaus freundliches Angebot von einem Mann, den sie nur wenig kannten, aber er liebte das Theater und war als ein entfernter Cousin von Anne Herrmanns absolut vertrauenswürdig.
    Rosina teilte wie stets ein Zimmer mit Manon, es lag nicht zur Straße, sondern an der Rückseite des Hauses zum Friedhof. Sie stützte die Arme auf das Fensterbrett und ließ ihren Blick über die eng beieinander stehenden Grabsteine wandern, einige waren uralt und neigten sich inmitten dicker Unkrautbüschel bedenklich zur Seite. Auf einem der wenigen schlichten Sarkophage sonnten sich drei Katzen, in den jungen Linden, die den Mittelweg zum Kirchenportal säumten und den süßen Duft ihrer Blüten verströmten, tschilpten Meisen und Finken um die Wette – inmitten des Lärms der Stadt eine Insel des Friedens.
    Sie sah hinaus in die Sonne, genoss den Moment der Trägheit und fühlte sich frei. In all den Jahren, die sie nun schon mit der Becker’schen Gesellschaft lebte, war Muße selten gewesen. Immer gab es etwas zu tun, wenn alles andere geschafft war, mussten Texte gelernt, Stücke umgeschrieben oder übersetzt werden. In den letzten Tagen hatte sie nichts zu tun gehabt, als Wagner zu begleiten. Der Weddemeister hatte ihr Angebot dankbar angenommen. In der fremden Stadt und ohne seine amtlich anerkannte Autorität fühlte er sich wie ein Fisch auf dem Land. Sein Jagdhundinstinkt schien ihm völlig abhanden gekommen und die Suche nach Alma Severin und Felix Landahl nichts als eine schwere Bürde.
    Die Beschreibung der beiden Flüchtigen, die Senator van Witten ihm mitgegeben hatte, war mehr als mager.Alma Severin war von mittlerer Größe, nicht dick, nicht dünn, ihr Haar rotblond und glatt wie Seidenfäden, ihre Augen waren blau. Es musste Tausende wie sie in London geben.
    Auch der Mann, mit dem sie geflohen war, war eine durchschnittliche Erscheinung: Felix Landahl war etwa dreißig Jahre alt, von großer, aber nicht besonders großer, und schlanker Statur, das Haar hellbraun oder dunkelblond. Diese dürftigen Auskünfte, die nicht einmal die kleinste Pockennarbe oder einen besonderen Leberfleck boten, stammten von einem Mädchen, das mit Alma in der Kunstblumen-Manufaktur gearbeitet hatte. Allerdings hatte sie ihn nie selbst gesehen, sie wusste nur, was Alma erzählt hatte. ‹Und das Auge der Liebe›, dachte Rosina, ‹lügt wie gedruckt.›
    Überhaupt schien ihn in Hamburg niemand zu kennen, was seltsam war. Er konnte nicht sehr lange dort gelebt haben, aber wenn Alma ihn gut genug kannte, um mit ihm davonzulaufen, müssten ihm auch andere begegnet sein, seine Wirtin, seine Nachbarn, irgendjemand. Vielleicht, hatte Helena überlegt, habe Alma den mysteriösen Landahl nur erfunden und Hamburg alleine verlassen. Aber es sei doch unwahrscheinlich, hatte sie gleich selbst hinzugefügt, dass ein unerfahrenes Mädchen, das nie über die Stadtgrenzen hinausgekommen war, eine solche Reise alleine wage. Anders als Rosina war Wagner absolut ihrer Meinung

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