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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gewesen.
    Senator van Witten hatte ihm auch eine Liste seiner gestohlenen Schätze mit auf die Reise gegeben und eine zweite von Händlern, die in London mit wertvollen alten Münzen und Medaillen handelten. Es war eine lange Liste, Rosina hatte gelacht, als Wagner sie ihr zeigte.
    «Glaubt Ihr wirklich», hatte sie gefragt, «dass einer, der sein Diebesgut verkaufen will, zu solchen Händlern geht?»
    «Nein», hatte Wagner kurz geantwortet, ärgerlich, weil sie ihn für so unschuldig hielt. «Aber immerhin ist es ein Anfang. Und vielleicht können sie uns weiterhelfen.»
    Ihr Disput um die Bereitwilligkeit ehrbarer Händler, ihre Kontakte zu Hehlern preiszugeben, war unerquicklich. Umso mehr, als Wagners Laune nicht die beste war, denn sein Magen nahm die lange Reise über die See immer noch übel.
    Rosina fand es sinnvoller, zuerst in Covent Garden nach den beiden Geflohenen zu suchen. Viele deutsche Neuankömmlinge könne es in diesen wenigen Straßen nicht geben. Wagner brummte widerstrebend Zustimmung, obwohl er Rosinas Überzeugung nicht teilte. Dass das Mädchen sich in der van Witten’schen Küche nach Covent Garden erkundigt habe, bedeute noch nichts, auch sei wohl die Zahl der Straßen gering, die Zahl der Menschen jedoch, die darin leben, erscheine ihm unendlich. Womit er leider Recht hatte.
    «Es nützt nichts, Wagner», sagte Rosina schließlich. «Euer Auftrag ist lästig und eine harte Nuss. Aber wenn Euer Senator seinen Münzen den ersten Weddemeister der Stadt nachschickt, müssen sie sehr besonders sein. Das macht die Suche einfacher.»
    «Nun ja», murmelte Wagner, «sehr besonders. In der Tat.»
    Rosina wartete auf den unvermeidlichen Einsatz des blauen Tuches, doch es blieb in der Tasche, und Wagner vertiefte sich angelegentlich in die Liste.
    «Selbst wenn wir die Nadel in diesem Heuhaufen finden«,fuhr sie fort, als er beharrlich schwieg, «haben wir nur eine Münze, mit etwas Glück sogar alle. Die Diebe zu finden ist eine andere Sache. Wagner?»
    Endlich hob er den Blick und sah sie an.
    «Ich kenne Euch gut genug, um zu merken, wenn etwas nicht stimmt. Ihr habt uns nicht alles erzählt, oder? Es geht gar nicht um die Münzen. Um was geht es wirklich?»
    Nun zog er doch sein Tuch hervor und begann, sich umständlich die Nase zu putzen.
    «Um was?», rief Rosina. «Ihr müsst mir schon vertrauen. Das habt Ihr doch immer getan, wie   …»
    «Natürlich vertraue ich Euch», unterbrach er sie rasch. «Es geht tatsächlich um den Mann, der die Münzen hat   …»
    «Ich denke, das Mädchen hat sie gestohlen.»
    «Alma Severin, ja. Aber sie wird sie schwerlich verkaufen können. Sie spricht diese Sprache nicht und ist in solchen Geschäften natürlich völlig unerfahren. Nein, ganz sicher wird
er
die Münzen verkaufen, Landahl. Deshalb sagte ich, ‹der Mann, der die Münzen hat›.»
    «Bitte, Wagner! Ich mag das Wort Münzen kaum mehr hören. Was macht Euch eigentlich so sicher, dass er sie verkaufen will? Sagt mir endlich, worum es wirklich geht.»
    Wagner stopfte umständlich sein Tuch in die Rocktasche und rieb müde mit beiden Händen über sein rundes Gesicht.
    «Das darf ich nicht, Rosina, jetzt noch nicht. Ich musste es, nun ja, geloben. Ich weiß, dass es nicht vernünftig ist, aber gebt mir noch ein wenig Zeit, wenn es nötig wird, darf ich Euch alles sagen. Ich hoffe, es wird bald sein.»
    «Das ist mehr als unvernünftig und ein guter Grund, an van Wittens Verstand zu zweifeln. Was glaubt er, wer ich bin, was wir sind? Denkt er, weil wir Wanderkomödianten sind, könnten wir ein Geschäft wittern und uns auf die andere Seite schlagen?»
    Wagner sah sie mit kläglichem Gesicht an und Rosinas Zorn schmolz.
    «Nun gut», sagte sie, «ich will Euch nicht in Gewissensnot bringen. Machen wir einen Handel. Ihr dürft mir nichts sagen, aber ich kann Euch fragen. Wenn ich richtig rate, zupft Ihr Euch am Ohr.»
    «Ein guter Handel», sagte Wagner, seine Schultern strafften sich erleichtert. «In der Tat. Sehr gut. Also fragt.»
    «Ich weiß nicht, was daran so mysteriös ist, dass Ihr es mir nicht sagen dürft. Es geht um den Mord an Madame Boehlichs Faktor. Natürlich geht es darum. Ihr Geselle ist in London, der Mann, dem der Faktor im Weg war. Geht es darum?»
    Wagner zögerte, dann zupfte er sich rasch am rechten Ohr. Dass er es mit verzagter Miene tat, verstand Rosina gut. Er war ein schrecklich ehrbarer Mensch, und der Handel, den sie geschlossen hatten, war mehr als krumm.
    Wagner

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