Die englische Episode
war tatsächlich verzagt, denn er hasste es, zu lügen. Selbst für seinen Senator.
Rosina verstand nicht, warum Wagner sich nicht sofort auf die Suche nach Bendix Hebbel machen wollte. Die Druckerei, in der er nun arbeitete, lag in einem Hof der Ave Maria Lane, und Mrs. Tottle hatte versichert, das sei keine halbe Stunde von Covent Garden entfernt. Doch Wagner murmelte etwas von Anweisung und bestand darauf, zuerst die Münzhändler zu befragen.
Inzwischen hatten sie fünf der acht Herren, deren Namen auf der Liste standen, besucht und nichts erfahren, als wie groß die Stadt war und wie leicht man darin in die Irre gehen konnte, selbst wenn man dem Stadtplan folgte, der dem nagelneuen Büchlein über Londons Sehenswürdigkeiten beigefügt war, das Wagner in Davies’ Buchladen in der Russel Street erstanden hatte.
Die Suche nach den Münzen war reine Zeitverschwendung. Sollte Wagner doch alleine weitersuchen, sie hatte heute Besseres vor.
***
Das Cutler’sche Haus stand an Größe dem Hamburger Rathaus kaum nach. Schon als Cilly heiratete, war Fredericks Familie wohlhabend, inzwischen musste sein Reichtum immens sein. Etliche der großen Londoner Häuser zeigten in den Gesellschaftsräumen eine Pracht, als lebten ihre Bewohner von einer unerschöpflichen Goldader, während schon im Frühstückszimmer abgewetzte Sessel und brüchige Tapeten die Grenzen des Reichtums verrieten. Dieses Haus hingegen war vom Souterrain bis unters Dach perfekt. Augusta wusste nicht, womit Frederick so steinreich geworden war. Doch einer seiner Söhne vertrat die Familiengeschäfte in den amerikanischen Kolonien, ein zweiter auf den Karibischen Inseln, der jüngste fuhr auf einem der Schiffe der East India Company – das war Antwort genug.
Ursprünglich bestand das Gebäude aus drei Häusern. Zu dem herrschaftlichen in der Mitte hatte Frederick Cutler im Laufe der Jahre die beiden benachbarten, ein wenig bescheideneren, hinzugekauft und mit dem erstenals Seitenflügel verbunden. Im rechten wohnte der junge Frederick mit seiner Familie, der älteste Sohn, dem Mr. Cutler vor zwei Jahren die Führung der Geschäfte übergeben hatte, um sich endlich ganz seinem Naturalienkabinett und seiner neuesten Leidenschaft, der Sammlung griechischer und römischer Antiken, zu widmen.
Der linke Flügel war das Heim von Lord und Lady Wickenham, was in den adeligen Häusern allgemein als unpassend empfunden, jedoch nie erwähnt wurde. Höchstens hinter vorgehaltener Hand und nach dem vierten Glas Port, was Cilly, die gewöhnlich sehr genau beachtete, was passend oder unpassend war, als Geschwätz ignorierte. Schließlich war das Wickenham’sche Stadthaus schon seit Jahren eine rechte Rumpelkammer gewesen. Das lag einerseits an den völlig unaristokratischen Versuchen des alten Lords, sich in bürgerliche Geschäfte einzumischen, indem er in jungen Jahren in die South Sea Company investierte – leider erst kurz vor deren desaströsem Zusammenbruch, womit er den Niedergang des Hauses Wickenham einleitete. Andererseits lag es an seinem Sohn, Williams Vater, der die Schmach durch fleißige Besuche von Spielclubs und Rennbahnen wettzumachen suchte und eine sichere Hand fürs Verlieren bewies.
Kurz und gut, der Verkauf des Hauses und der Einzug Williams nach seiner Heirat mit Florence in das Cutler’sche Haus war nur klug gewesen. Cilly hatte die Idee – es war ihre gewesen – wunderbar gefunden. Schließlich lebten drei ihrer Söhne durch monatelange Seereisen von ihr getrennt, niemand konnte übel nehmen, dass sie ihre einzige Tochter in der Nähe haben wollte.
Mr. Cutlers behutsamen Einwand, es gehe nicht an, dass ein Lord Wickenham sozusagen zur Untermiete bei seinen bürgerlichen Schwiegereltern wohne, hatte sie weggewischt. Wozu habe man ein so großes Haus, wenn es leer stehe? Und schließlich sei der liebe William stets ein wenig, nun ja,
en famille
könne man es ruhig aussprechen, knapp in seinen Mitteln, er werde sich gewiss freuen. Im Übrigen habe der Flügel einen eigenen Eingang und eigene Wirtschaftsräume, von Untermiete könne keine Rede sein.
Ob William sich freute oder nicht, blieb ungewiss; zu Mr. Cutlers Überraschung erhob er keine noch so höflichen Einwände, und Cilly flüsterte ihrem Gatten zu, er sei einfach zu empfindsam. All das hatte Cilly Augusta gleich am Tag nach deren Ankunft ausführlich erläutert.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer, das sie außerordentlich anheimelnd fand, obwohl es dreimal so groß
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